Thema:
Fragwürdige Briefkastenfirmen entlarvt
Mittwoch, 6. April 2016 16:03 Uhr
Trendwende woher?
LinusLuchs aus Basel (137 Kommentare seit Di, 05.11.2013)
Wer oder was ist geeignet, den Anstand zu retten? Cédric Wermuth ist für mich (noch) ein Hoffnungsträger. Natürlich kann er alleine nichts ausrichten. Vielleicht steht er aber für eine neue SP-Generation. Umso erfreulicher ist die Operation Libero. Aber wie betitelte die „Schweiz am Sonntag“ kürzlich einen Bericht über Flavia Kleiner? „Die Überbewertete.“ Erster Satz: „Ein pinker Mantel geht um.“ Eine junge, hübsche Frau, die politisch Substantielles zu sagen hat, das bekommt das schreibende Y-Chromosom nicht auf die Reihe.
Wer oder was rettet uns den Anstand? Ganz an der Spitze der organisierten Menschheit gäbe es den UN-Menschenrechtsrat. Da dürfen auch China oder Saudi-Arabien mitwirken, was die Vertrauenswürdigkeit dieses Gremiums ein wenig schmälert. Abgesehen davon, dass dieser Club faktisch nichts zu sagen hat.
Ganz an der Basis wären es die Familien. Die Erziehung. Da fällt mir Georg Schramm ein mit seiner Nummer über die systematische Volksverdummung durch die Medien. Und ich sehe die Eltern vor meinen Augen, die sich im Tram mit ihrem Handy beschäftigen, während sich das Kind im Kinderwagen langweilt. Sofern es nicht selber über ein piepsendes Videogame verfügt.
Und im grossen Raum zwischen UNO und Familie? Da wären eben die Medien. Wie viel Prozent der Bevölkerung lesen Artikel, die in die Tiefe gehen? Sie sind rar, sowohl die Artikel, als auch die Leserinnen und Leser. Wie hoch ist die Einschaltquote von „Sternstunde Philosophie“? Erstaunlich, dass es die Sendung überhaupt noch gibt. Gegenüber einem 20-Jährigen, der noch zur Schule geht, erwähnte ich kürzlich Immanuel Kant. „Manuel wie? Muss man den kennen?“
Womit wir bei der Bildung wären. Hier gäbe es, nach der Erziehung, die zweite Gelegenheit, ein Bewusstsein für humanistische Grundideen zu fördern. Aber erstens gibt es immer mehr junge Lehrer, die mit dieser Thematik selber nichts anfangen können, zweitens fehlt es den Schulen an Mitteln, die von bürgerlichen Regierungen gekürzt werden, drittens werden die Lehrpläne in den Raster „Wirtschaftsbedürfnisse“ gepresst, viertens wird auch auf Hochschulniveau die freie geistige Entfaltung durch das PISA-System eingeengt.
Ist vielleicht die Kultur ein Vehikel, um den Anstand zu retten? Sie ächzt, wie die Bildung, immer mehr unter der neoliberalen Gesetzmässigkeit, wonach nur eine Existenzberechtigung hat, was rentiert. Geistig flache Musicals haben noch ein grösseres Publikum, für eine Oper hat die grosse Mehrheit weder das Verständnis, noch die Geduld. Theater und Kunstausstellungen sind Treffpunkte einer kleinen Elite. Die Verhöhnung Intellektueller, wie sie von rechts aussen systematisch betrieben wird, nimmt das Castingshow-Publikum gerne auf. Die Masse kann Kommerz und Kunst nicht unterscheiden. Sie meint, ein oscargekrönter Actionfilm mit Leonardo Di Caprio sei der Zenit kultureller Entwicklung. Mit anderen Worten: Der Kulturbetrieb rettet uns den Anstand nicht.
Liebe Kassandra, auf die Frage, was sorgt dafür, dass die Aufklärung und die Französische Revolution nicht vergebens waren, wie kann gelingen, dass meine Tochter (15) und meine eventuellen Enkel keine ökologische oder soziale Katastrophe oder einen Krieg erleben müssen, habe ich noch keine halbwegs beruhigende Antwort finden können. Die Ablehnung der Durchsetzungsinitiative liess uns für einen Moment jubeln, aber ich befürchte, es ist illusorisch zu glauben, sie würde eine Trendwende bedeuten. „Wenn's den Menschen zu wohl wird, laufen sie wie die Lemminge mit offenen Augen ins Verderben“, schreiben Sie. Ja, so sieht es aus.
Trotzdem, auch ich will meinen Optimismus nicht aufgeben und nicht müde werden, meine Überzeugungen klar und verständlich zu kommunizieren. „Ich bin ein Optimist – es scheint nicht viel Sinn zu ergeben, irgendetwas anderes zu sein“, sagte einmal Winston Churchill.