et / Dienstag, 11. August 2015
Die fragile Schweizer Identität hat in diesen turbulenten Zeiten einige Schläge einstecken müssen. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat die SVP mit ihrem auf echten und erfundenen Traditionen basierenden Programm auch politische Erfolge erzielen können. Doch die Partei ist sich nicht zu schade, auch brillante Ideen aus dem Ausland zu übernehmen.
Parteipräsident Toni Brunner verkündete an einer Medienkonferenz die neue Initiative, zu deren Unterschriftensammlung in einem Monat zum Start geblasen wird. Unter dem Label «Schweizerzeit» soll eine eigene Zeitzone für die Schweiz eingerichtet werden. Die Inspiration dafür kam aus dem fernen Osten, von einem Geist, dessen kompromisslose Unabhängigkeit immer wieder tief beeindruckend ist.
«Wenn in einem Wander- und Ferienparadies wie Nordkorea, dass nach Aussen hin immer strikte seine Unabhängigkeit bewahrt hat, eine eigene Zeitzone eingeführt wird, um die nationale Identität zu stärken, dann sollte das auch für die Schweiz mehr als nur eine Überlegung wert sein.»
Es wäre geplant, die Zeit um eine halbe Stunde zurückzustellen. «Wir wären damit genau zwischen dem EU-Hegemonialblock und Grossbritannien, das sich ja, wenn alles gut geht, auf dem Weg aus der Brüsseler Diktatur hinaus befindet. Ausserdem können wir uns so die Sommerzeit ersparen: Im Sommer wären wir eine halbe Stunde voraus, im Winter eine halbe Stunde hinten. Damit wäre die zeitliche Anbiederei an Europa, die ja wirklich verabscheuungswürdig und unlogisch ist, endgültig ein Ding der Vergangenheit. Zudem wird den Schweizer Milchkühen und -bauern so der halbjährliche Stress der Zeitumstellung erspart.»
Die SP reagierte natürlich postwendend auf diese «ungeheuerliche Provokation» und «Anmassung» der SVP, wie der Parteipräsident Christian Levrat in einer Presseaussendung klar stellte. «Der Sonderweg der Schweiz ist eine Illusion und eine eigene Zeitzone würde diese einfach noch unpraktischer machen. Wenn hingegen die Uhren als Zeichen der Solidarität mit Griechenland eine Stunde vor auf die 'griechische Sommerzeit' gestellt würde, könnte mit uns durchaus darüber gesprochen werden - wir leben aber nicht auf einer Insel, das sollte allen klar sein!»
Allerdings gibt es einige Gerüchte, dass eine Reihe von älteren SP-Funktionären eine noch radikalere Variante bevorzugen würden, nämlich das Zurückdrehen des Kalenders auf 1968. Angeblich stehe der Berner Stadtpräsident Alexander Tschäppät an der Spitze dieser Verschwörung, doch weder von ihm, noch von jemand anderem ist dazu derzeit eine Bestätigung zu bekommen.
Auch die FDP schaltete sich ohne langes Zuwarten in die Zeitdebatte ein und fordert die Einführung der US-Ostküstenzeit (obwohl in diesem Zusammenhang der neue Ausdruck «Wall Street Time» benutzt wird), zumindest für den Grossraum Zürich. FDP-Präsident Philipp Müller erläuterte es wie folgt: «Wenn wir schon die Zeit umstellen, dann wenigstens so, dass wir in Zukunft parallel mit dem grössten Finanzzentrum der Welt gekoppelt sind und die Vorteile haben, die aus der New Yorker Zeit entstehen. Ausserdem zeigt dann ein Blick auf die Uhr ganz klar, von wo aus die Schweiz gelenkt wird! In diesem Sinne wäre die 'Wall Street Time' für die Schweiz perfekt!» Der Rest der Schweiz würde sich dann schon anpassen.
Darauf angesprochen, dass Arbeitstage dann nach Sonnenstand von ca. 2 Uhr Nachmittags bis fast Mitternacht gehen würden, meinte Müller nur, dass der heutige Arbeitnehmer nicht nur physisch sondern auch psychisch mobil sein müsse. Und Kühe würden davon ja nicht tangiert, davon gäbe es in der metropolitan-Region Zürich recht wenige. Sollten die Widerstände gegen Sonnenuntergänge am frühen Nachmittag allerdings zur stark sein, würde auch die Übernahme der LSE-Zeit (London Stock Exchange) noch tolerierbar sein. Und sollten sich die Gewichtungen in Zukunft entscheidend verschieben, habe auch die Börse von Peking eine tolle Zeitzone. Zudem müsse ohnehin ein 24-Stunden-Arbeitstag in Betracht gezogen werden und dann könnte man ganz auf Zeitzonen verzichten. Aber das stehe etwas später an.
Die CVP will hingegen eine «Familien-Zeitzone» einrichten. Auch hier meldete sich schon wenige Tage nach der SVP der Parteipräsident Christophe Darbellay zu Wort: «Die CVP strebt eine Zeitzone an, in der verheiratete Eltern mehr Zeit für die Kindererziehung haben und am Morgen eine Stunde später zur Arbeit gehen und am Abend eine Stunde früher zurückkommen könnten. Zu diesem Zweck würde um Mitternacht die Uhr jeweils eine Stunde zurück und am Mittag eine Stunde nach vorne gestellt. Da so die Mittagspause ausfallen würde, hätten auch die Arbeitgeber keine Nachteile zu befürchten.» Auf den Hinweis, dass irgendwo immer noch eine Stunde fehle, reagierte Darbellay ziemlich unwirsch und sprach von der typischen Familienfeindlichkeit der Medien.
Die Grünen konnten sich dagegen noch zu keiner Stellungnahme durchringen. Offenbar entbrannten schon wieder heftige Richtungskämpfe zwischen Fundis und Realos, wobei unter den Fundamentalisten selbst auch divergierende Meinungen zu Streitereien geführt haben. So wurden als neue Zeitmassstäbe Biorhythmen, Mondphasen, Sonnenuhren, Bachblütenessenz-Produktion und Menstruationszyklen angeführt. Sogar eine Traumzeitzone wurde von Aborigine-affinen Kreisen eingebracht und auch von einer entschleunigten Sammlerzeit sei die Rede, während die Realos eigentlich gerne alles wie gehabt lassen würden, da sie finden, dass die Zeit für wesentlich bessere Dinge verschwendet werden könnte.
Die zum Teil heftigen Reaktionen auf den SVP-Vorschlag hat Toni Brunner mit Genugtuung zur Kenntnis genommen. Allerdings rumort es jetzt auch schon in seiner eigenen Partei und es werden Stimmen laut, dass die echte Schweizer Zeit nicht eine halbe Stunde, sondern 700 Jahre früher sei - sprich zur Zeit der Schlacht zu Morgarten. Oder wie es ein Vertreter dieser Gruppe um (sic) Schweizerzeit-Redakteur Ulrich Schlüer verlauten liess: «1315 durfte man Ausländer noch totschlagen und in den See schmeissen - diese Zeiten müssen wieder her! Und wenn das irgendwer wirklich weiss, dann wohl Dr. Schlüer!»