Regula Stämpfli / Dienstag, 13. Oktober 2015
Gehören Sie auch zu den Leuten, die herzhaft über das Unglück und Trauma anderer Menschen lachen können? Haben ihre Arbeitskollegen ebenso wie Sie daran Spass? Dann herzlich willkommen in der SVP, der Partei, in der der Spass da anfängt, wo anderen das Lachen vergeht!
Die Schweiz hat diesen Wahlherbst eine neue Marke, ein neues Branding kreiert: Frauenverachtung. Ich gratuliere dazu der SVP, der es gelungen ist, diesen Brand zu etablieren und ich gratuliere vielen Schweizer Journalistinnen und Journalisten, die bei dieser Preisverleihung fröhlich sind, lachen und sich dabei jovial auf die Schenkel klopfen. Ich halte hier nur fest: Das Lachen wird ihnen Allen relativ bald vergehen: Den MittäterInnen, den Akteuren, den Kommentatoren. Denn stellen Sie sich nur einmal vor, die SP hätte ihren Wahlkampf mit Werbespots zu Burn-Out von attraktiven Blondinen bestritten. Ob da auch irgendjemand gelacht hätte und das mutmassliche Opfer verhöhnt? Und aufgepasst: Sind die Lachenden sicher, dass sie nie und nimmer Opfer werden in einer Gesellschaft, die Opferverhöhnung zum medialen Sport verklärt? Tja.
Was in den letzten Wochen passiert ist, belegt wie sehr die menschenverachtende Medien- und Umfragedemokratie gerade in der Schweiz Wahl- und Aufmerksamkeitsbörsenpunkte einsammeln konnte. Dies nicht zuletzt dank den Experten, denen es ja eh nur um den Sieg der SVP, damit um die eigenen Mandate und Rechenmodellen geht. Der Wahlkampf 2015 hat jedes Niveau unterschritten. Unter tatkräftiger Mithilfe der Schweizer Medien. Ausnahmen bestätigen hier nur die Regel.
Hier soll nicht auf die K.O.-Tropfen und den Zuger Justizskandal eingegangen werden - dies wurde eindrücklich schon an anderer Stelle getan. Mit Fragen, die übrigens immer noch unbeantwortet bleiben und Journalisten und Journalistinnen, die auf die Fragende eindreschen statt sich auch nur eine Minute Selbstkritik zu erlauben - nochmals: Es geht nicht um Zug. Es geht auch nicht einfach um die Werbestrategien rechtspopulistischer Parteien, deren Wahlkampf so übel ist, dass er nichts mehr mit Demokratie zu tun hat (Die Nummer 88 auf tanzenden Busen? Hat doch nichts mit rechtsradikaler Insidersprache zu tun! Echt.) Nein. Es geht hier mal ganz kurz darum, wie in diesem kleinkarierten, sich selbstüberschätzenden, diesem mit Diktatoren operierenden Weltfinanzmoloch namens Schweiz mit «Den» Frauen medial, wissenschaftlich, umfragetechnisch, politisch, kulturell und sozial umgegangen wird.
«Die» Frauen
Nein. Es gibt sie eigentlich nirgendwo und nirgends: «Die» Frauen. Und doch geistert diese Kategorie in den Medien, in der Politik und vor allem in der Kultur herum. Natürlich nie, um zu zeigen, dass «Die» Frauen, also Menschen mit Menstruationshintergrund, realistisch, objektiv als Kategorie vor allem als Vergewaltigte, als Flatratehuren, als sexuell missbrauchte Kinder, als Geschlagene, als mit «Humor» Verhöhnte, als abgetriebene Föten, als Putzfrauen, als Gebärmütter, um reicher Leute Kinder auszutragen, existieren. Hier gibt es sie tatsächlich: «Die» Frauen.
Als Opfer von struktureller Folter, Gewalt, Ausbeutung, Verhöhnung, Missachtung, übelstem Internetmobbing und menschenverachtenden Medienberichten (da regt sich tatsächlich Eine auf, weil eine «lustige» Partei K.0. - Tropfen zum Wahlkampfsieger macht. Der Bund titelt: «XY ist wütend»), ja da gibt es «Die» Frauen. Doch ansonsten? Gibt es «Die» Frauen nicht. Jede ist Mensch. Anders. Einzigartig. Speziell. Unverkennbar. Hat eine eigene Geschichte. Einen eigenen Beruf. Eigene und fremde Kinder. Ist eigenes Kind eigener Eltern. Ein Mensch eben mit allen Unikatsmerkmalen, die es bei Menschen so gibt.
Einziges objektiv feststellbar verbindendes Merkmal von Frauen ist die Gewalt, die statistisch gesehen, vor allem «Die» Frauen trifft. Und genau diese Kategorie wird so nicht benannt, sondern als Kategorie nur dann angewendet, wenn man auf «Die» Frauen erst recht einprügeln kann. Jetzt einfach mit Worten, mit Strategien der Ausgrenzung, mit Nichtbeachtung, mit Nichtförderung, usw.
«Die» Männer publizieren nie: «99 Männer der Weltliteratur.» Oder: «Philosophen - ein Überblick» oder «Denkende Männer» oder «Männer, die schreiben, sind gefährlich.» Oder kriegen Berichte wie: «Männer in der Wirtschaft.» Schlagzeilen wie: «Männer in der Landwirtschaft», «Männer kriegen eine 100%-Quote in der SRG-Leitung» oder «Männer im Vormarsch» oder «Männer halten 90%-Quote in der Finma, in allen Politiksendungen, in allen Preiskategorien für Literatur, in allen Nennungen ihrer Schriften, in allen Politikkommentaren, in allen öffentlich-rechtlichen Aufträgen, im Beschaffungswesen und und und.» Männer werden als Professoren, Denker, Intellektuelle auch nie gefragt: «Wie empfinden Sie Ihr Mann-Sein in den Kreisen, in denen Sie sich bewegen? War es schwierig, als einziger Mann in der Expertenkommission? Wie haben Sie es als Mann in diese Position geschafft?» «Was sagen Ihre Kinder dazu, dass ihr Vater diesen Beruf ausübt?» «Die» Männer müssen dann auch keine blöden Antworten geben wie: «Ich habe mich von meinem Mann-Sein nie behindert gefühlt.» Oder schreiben Artikel: «Ich fühle mich von der Männerförderung angeekelt.»
Wir lernen daraus: «Die» Männer gibt es nicht. Obwohl die Statistik zum Mann-Sein ebenso erdrückend klar ist wie die zu «den» Frauen.
«Die» Frauen gibt es aber dafür. Und immer nur zu ihren Ungunsten. Weil sie für «Die» Männer unter der tatkräftigen Mittäterschaft westlicher Frauen und religiös idiotisierter Fundamentalistinnen (die neoliberalen «Titten aus Zement» von Sloterdjik und die ISIS-Kämpferinnen lassen grüssen) als ideologische Kategorie und Statistik eigentlich vernichtet werden sollen.
Frauenhass - die neue Marke. Verkauft sich brillant und ist global verbreitet.
Frauen sind so sehr Statistik, dass, wer in der Schweiz bei K.O.-Tropfen nicht lacht, als «humorlos» in den Medien verhöhnt wird. Frauen sind so sehr Wegwerfware, dass sogar der Wahlkampf einer Partei mit «lustigen» K.O.-Tropfen bestritten, gewonnen und von Politologen verrechnet und herbeigeredet werden kann («Die» Männer kriegen denn auch alle Expertenposten).
Schönen Wahlsonntag allerseits.