Patrik Etschmayer / Dienstag, 5. Januar 2016
Seit die neue polnische Regierung dabei ist, die dortige Demokratie noch gründlicher zu demontieren, wie dies in Ungarn Viktor Orban schon angegangen ist, macht sich das grosse Wundern und Entsetzen in Europa breit.
Solidarität ist ein schönes Wort. Es ist ein Wort, das eine Verbundenheit ohne Zwang vor dem Inneren Auge erscheinen lässt. Es ist ein Wort, das die Kraft des Guten heraufbeschwört. Es ist ein Wort, das einst die Welt erschütterte und ein Beben der Weltgeschichte auslöste. Damals, Anfang der 80er Jahre, wurde die polnische Gewerkschaft 'Solidarnosc' erst zum Symbol für Widerstand gegen den Kommunismus, dann zur Bedrohung für den östlichen Machtblock und - nach ihrem Verbot und der Übernahme der Macht durch das Militär in Polen - zur Märtyrer-Bewegung.
Nach fast einem Jahrzehnt im Untergrund feierte Solidarnosc mit dem Sturz der Kommunisten - nicht nur in Polen, sondern im gesamten Ostblock - triumphale Auferstehung, errang sogar die Macht, doch danach ging es mit der Gewerkschaft bergab im gleichen Masse, wie die Organisation der Arbeiterschaft durch jene, welche von den organisierten Arbeitern die Möglichkeit an die Macht zu kommen, erhalten hatten, demontiert wurde. Heute ist Polen eines der westlichen Länder mit dem geringsten Anteil von Arbeitnehmern, die in Gewerkschaften Mitglied sind. Es hat sich nun mit der Solidarität erledigt, in Polen.
Seit im vergangenen Oktober die katholische-nationale Partei 'Recht und Gerechtigkeit' (interessanter Fakt: Parteinamen haben immer mehr die Eigenschaft, den Inhalt der Parteiprogramme 180° zu verdrehen) die polnischen Parlamentswahlen triumphal gewonnen hat, wird unter dem Vorwand, 'marxistische Tendenzen' zu bekämpfen, oder wie Aussenminister Witold Waszcykowski es ausdrückte:«zu einem neuen Mix von Kulturen und Rassen, eine Welt aus Radfahrern und Vegetariern, die nur noch auf erneuerbare Energien setzen und gegen jede Form der Religion kämpfen. Das hat mit traditionellen polnischen Werten nichts mehr zu tun.»
Polen folgt so Ungarn auf einem weg in die Autokratie, welche in der EU zwar kritisch kommentiert wird, der diese aber irgendwie hilflos gegenüber steht. Das Erstaunen darüber, dass «zentrale Europäische Werte» demontiert werden, ist offenbar gross. Doch es soll sich niemand etwas vormachen: Polen und Ungarn sind nicht jene, die in die Vergangenheit zurück wollen. Diese Länder zeigen auf, wo es womöglich hingehen wird, in Europa.
Die jetzt hervortretenden demokratischen Defizite lassen sich unter Umständen auf einen Mangel an parlamentarischer Tradition und einer damit einhergehenden Stabilität (oder Trägheit, um es weniger euphemistisch auszudrücken) der Verhältnisse zurück führen. Sie sind vielleicht auch im Fehlen von traditionellen, um Ausgleich bemühte Mitte-Parteien begründet. Dieses Fehlen macht es erst möglich, dass von einer Legislaturperiode zur nächsten hin ohne eigentlich grosses Versagen der Regierung eine Partei plötzlich mit einer Verfassungs-Verändernden zwei Drittel Mehrheit die Welt - oder zumindest das Land - erschüttern und die Verfassung auf den Kopf stellen kann.
Nun erodieren aber auch in den 'traditionellen' Demokratien wie Frankreich, Deutschland, Grossbritannien, Österreich und auch der Schweiz die Mitte-Parteien schon seit Jahren und die Populisten gewinnen an Fahrt, definieren zum Teil schon die politische Agenda. Dabei haben Trägheit und Privilegiertheit der alten Parteien mindestens genau gleich viel Anteil daran, wie die Tatsache, dass die Volksherrschaft seit 25 Jahren gezielt zu einer Kapital-Herrschaft umgebaut wird und Regierungen freudig an der eigenen Entmachtung mit helfen.
Der Vormarsch von SVP / Front National / FPÖ / UKIP und wie sie alle heissen, ist eine Reaktion auf den Verlust der gefühlten Sicherheit in unseren Gesellschaften. Einer Sicherheit die es so im einstigen Ostblock nie gegeben hat.
Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Mitte-Parteien bei uns - oder sonst wo - wirklich daran arbeiten oder Interesse haben, die heutigen Probleme auf einer Basis von Konsens und Kooperation über die ganze Gesellschaft hin anzugehen. Stattdessen wird vor allem ausgesitzt und mit den Schultern gezuckt. Kommt zu den schleichenden Problemen der ökonomischen und politischen Entmachtung des Bürgers dann noch eine akute Krise ,wie jene mit den Flüchtlingen, dazu, kann dies der Funke in der morschen Demokratie-Hütte sein, der alles Lichterloh in Brand zu setzen vermag.
Deshalb sollten wir nun ganz genau hinschauen, was da am Rand von Europa passiert. Nicht, damit wir den Polen und Ungarn auf die Finger hauen, wenn sie etwas aus unserer Sicht Negatives machen, sondern um mal zu studieren, was sein wird, wenn die Rechtspopulisten auch bei uns an die Macht kämen. Es soll einfach niemand sagen, man habe es nicht gewusst, wenn dann einmal dieser Rand im Zentrum angekommen ist.