Regula Stämpfli / Mittwoch, 10. Februar 2016
«Es tut nicht weh, was Dir Deine Feinde antun, sondern Deine Freunde.» Hannah Arendt stellte dies einmal ernüchtert fest. Ich habe lange gebraucht, zu verstehen, welche Mechanismen eigentlich dahinter stecken, dass sich ausgerechnet die Freunde im Geiste wie die übelsten Trolle benehmen.
Michael Thai (Uni Queensland) erfasste das Phänomen psychologisch, Guttmann/Weisstanner/Armingeon politologisch:
Versprich Gutes und werde zum Übeltäter.
Guttmann/Weisstanner/Armingeon stellten fest, dass Sparpakete, Kürzungen im Wohlfahrtsstaat vor allem von Regierungen, die links sind oder in Grossen Koalitionen stecken, initiiert und umgesetzt werden. Die rechten Parteien kriegen dafür meist zuwenig Unterstützung oder müssen mit enormen Protestwellen rechnen. Wer das asozialste aller Projekte, Hartz IV, kennt, das von Gerhard Schröder («Es gibt kein Recht auf Faulheit» - sagte ausgerechnet der.) und Wolfgang Clement (der Arbeitslose auch schon mal mit «Parasiten» verglichen hat) initiiert wurde, wer Sigmar Gabriels Agitationen für den anti-Umwelt, anti-Wohlfahrtsstaat, anti-Demokratie-Vertrag TTIP verfolgt, weiss nun dank Guttmann/Weisstanner/Armingeon warum. Sozialdemokraten haben von sich und ihrer Partei das Image «sozial». Dieses wird als Blankocheck für eine asoziale Demokratur benutzt. Abbau von Frauenrechten? Können sich nur Feministen und Feministinnen leisten.
Von der Politologie zur Psychologie: Empathielosigkeit? Geht bei feinfühligen Psychiatern perfekt durch.
Michael Thai zeigt in seiner Studie, dass Menschen, die Feministinnen als Geliebte oder Freunde mit Migrationshintergrund haben, sexistischer und rassistischer sein «dürfen» als jene, die sich unter Weissen und Sexisten tummeln. «Viele meiner Freunde sind Ausländer, aber...» oder «Ich bin total gegen Sexismus, aber...» können sich Männer mit feministischen Freundinnen und weisse Männer mit dunkelhäutigen FreundenInnen locker leisten, ohne als das entlarvt zu werden, das sie sind: Sexisten und Rassisten.
Thai liess Fotos mit einer identischen Aussage zirkulieren. Wurde die Aussage von einem weissen Mann mit ausschliesslich weissen Freunden bebildert, dann wurde die Aussage als eindeutig rassistisch eingestuft. Wurde die Aussage aber mit einem weissen Mann und schwarzen Freunden bebildert, wurde sie nicht als rassistisches Statement erkannt.
Moralische Glaubwürdigkeit gekoppelt mit Selbstzuschreibung kann also dazu führen, Sexismus und Rassismus zu legitimieren. Die Präsidentschaft Obama hat deshalb nicht zu weniger Rassismus geführt, sondern im Gegenteil: Die Unterstützer von Obama liessen sich in anderen Versuchen leichter dazu hinreissen, negative Kommentare über dunkelhäutige Menschen zu machen.
So. Deshalb: Bewahre uns vor selbstüberzeugten Unschuldigen, Feministen, Anti-Rassisten und deren Leerstelle punkto Selbstkritik. Erinnern wir uns an allgemeingültige, universelle Regeln statt an Identitäten, die für nichts Garantie sind. Deshalb plädiere ich wieder und wieder auf einer Trennung zwischen öffentlich und privat, denn privat zieht immer und in jedem Fall totalitäre Unterdrückungsmechanismen nach sich.
Wie meinte Zizek kürzlich in der NZZ? «Das Grossartige an der Aufklärung bestand ja von Anfang an darin, dass rationale Argumente ihren Wert unabhängig davon haben, wer sie äussert.»
Eben. Die «richtige» Person oder deren Erfahrung ist noch kein Argument.
PS: Deshalb schrieb ich an anderer Stelle auch schon: «Wer braucht eigentlich Marine Le Pen, wenn sie François Hollande hat?»