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Organentnahme - die Frage ist dem Menschen zumutbar

Wer sagt, dass Menschen aus «Mangel an gespendeten Organen» sterben, hat bereits Position bezogen: für die Sozialpflicht unseres Körpers. Nichts desto trotz ist eine Widerspruchslösung bei der Organentnahme sinnvoll, weil der persönliche Wille nur so auch international wirksam geäussert werden kann.

Reta Caspar / Quelle: news.ch / Donnerstag, 13. September 2012 / 09:58 h

«Mehr Organe braucht das Volk» titelten kürzlich Schweizer Zeitungen mit dem Hinweis, dass jeden dritten Tag in der Schweiz ein Mensch sterbe, weil kein lebensrettendes Organ für ihn zur Verfügung stehe. Swiss Transplant spricht sich deshalb für einen Regimewechsel von der Zustimmungslösung zur Widerspruchslösung aus. Menschen sterben aber nicht an einem Mangel an Organen - sie haben genug Organe, sie leiden jedoch an deren tödlichen Erkrankung. Wer von Mangel spricht, der impliziert, dass es einen moralische Pflicht gibt, anderen Menschen Organe zu schenken. Eine solche Pflicht besteht jedoch nicht, weder rechtlich noch moralisch. Jede/r muss sich selber darüber klar werden, ob die eigenen Organe anderen zur Verfügung gestellt werden sollen und ob man selber fremde Organe erhalten möchte oder nicht. In der Schweiz gilt bei der Organtransplantation die erweiterte Zustimmungslösung: eine persönliche Zustimmung oder die der nächsten Verwandten ist notwendig. Wer hier aber generell den Begriff «Spende» bemüht, verschleiert, dass nur gerade 5 Prozent der Menschen, denen Organe entnommen werden, sich wirklich selber dafür ausgesprochen, also eine echte Spende verfügt haben. Die restlichen «Spenden» sind ein Mythos: Die Organe stammen in 95 Prozent der Fälle von Hirntoten, bei denen die Verwandten einer Organentnahme zugestimmt haben, es sind also Verfügungen von anderen Menschen. Einzelne Länder, etwa Frankreich, Österreich oder Griechenland, kennen schon seit langem die sogenannte Widerspruchslösung. Wer sich nicht ausdrücklich dagegen wehrt, von dem wird angenommen, dass er zur Organentnahme bereit ist - auch bei Ausländern, etwa bei Unfallopfern. Mit der Widerspruchslösung wird jede/r von uns grundsätzlich zum Organ-Ersatzteillager. Es wird zwar keine moralische Pflicht, sondern eine administrative Norm statuiert, von «Spende» kann aber natürlich keine Rede mehr sein. Die Mehrzahl der Länder haben «erweiterte» Zustimmungs- oder Widerspruchslösungen, die den nahen Verwandten ein Mitspracherecht einräumen. Etwas lahm kommen die den Medien kolportierten Bedenken der nationalen Ethikkommission daher: Es lasse sich nicht nachweisen, dass die explizite Zustimmung der Grund sei, weshalb in gewissen Ländern viele Organe gespendet würden und es bestehe auch die Gefahr, dass nur Gebildete informiert genug sind, um Widerspruch gegen Organspenden einzulegen. Ersteres ist jedoch kein ethisches Argument und letzteres gilt für sämtliche medizinischen Eingriffe. Viel gefährlicher wird es für weniger gebildete und durchsetzungskräftige Menschen, wenn - wie vom Bundesamt für Gesundheit angetönt - allenfalls spezialisierte Mitarbeiter ausbildet werden, die in den Spitälern mehr Leute zum Spenden bewegen sollen. Von einem reiflich überlegten Entscheid kann dann wohl gar nicht gesprochen werden. Bei einem Wechsel zur Widerspruchslösung muss sich jede/r mit dem Thema Organtransplantation beschäftigen.



Transplantierte Hornhaut: Spenden oder nicht? Jede(r) sollte diese Frage beantworten. /

Ist das zumutbar? Ja. Angesichts der medizinischen Möglichkeiten gibt es kein wirksames Recht auf Ignoranz mehr: Wer nicht für sich entscheidet, lässt Andere über sich entscheiden.
Ja. Wer nicht selber entscheidet, mutet den Entscheid allenfalls seinen Kindern und Lebensgefährten zu.
Ja. Die Konsequenz von medizinischem Fortschritt und internationaler Mobilität lautet (frei nach Ingeborg Bachmann): «Die Frage ist dem Menschen zumutbar». Die existenzielle Frage, ob das Konzept des «Hirntodes» überzeugt, der Voraussetzung für eine Organentnahme ist. Organe von Herztoten, insbesondere wenn sie zuhause gestorben sind, sind für die Medizin wertlos. Die soziale Frage der Verantwortung für den eigenen Körper und der Entlastung der Angehörigen von einem existenziellen Entscheid in einer für sie sowieso schon dramatischen Situation. Aber auch die politische Frage, wie weit man nämlich den in der Transplantationsmedizin verbundenen Institutionen trauen kann - der kürzlich publik gewordene Skandal in Göttingen, wo ein Arzt Patientendaten in den Wartelisten manipuliert hatte, liess aufhorchen. Anfang 2013 will das Bundesamt seinen Bericht vorlegen, der sich auch ausführlich mit der Widerspruchslösung befassen werde. Eine allfällige Gesetzesänderung dürfte Jahre in Anspruch nehmen. Aber so lange sollte niemand zuwarten. Es gibt kein richtig oder falsch, aber es gibt Spenderkarten, sogar online, mittels derer in einer Minute eine klare Willenserklärung ausgedruckt werden kann und morgen wieder anders, falls der Entscheid anders ausfällt - wer es nicht tut, muss als feige gelten. Auf jeden Fall aber braucht es Dokumente, die international lesbar sind. Ein so lebenswichtiges Dokument bietet im internationalen Kontext nur mit englischer Übersetzung genügend Sicherheit. Da hat auch SWISS TRANSPLANT die Hausaufgaben noch nicht gemacht. Deren Webseite gibt zwar den Anschein, auch auf Englisch zu beraten, tatsächlich werden Infos und Formular aber lediglich auf Deutsch und Französisch angeboten. Nicht mehr Organe braucht das Land, sondern mehr Aufklärung, damit die BürgerInnen einen wohl überlegten Entscheid fällen und auch international wirksam erklären können.

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