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Die Wölfe im Schafspelz

Ökologie, das Recht auf Abtreibung, selbstbestimmte Sexualität, Gleichheit Mann und Frau, naturwissenschaftliche Dominanz - waren für mich jahrzehntelang selbstverständliche, vernünftige, progressive Themen und wurden von Menschen gefordert und gefördert, bei welchen ich mich verstanden fühlte und die ich verstehen konnte.

Regula Stämpfli / Quelle: news.ch / Mittwoch, 13. März 2013 / 10:11 h

Seit einigen Jahren muss ich realisieren: Ausgerechnet diese Themen haben das Potential, menschenvernichtende und autoritäre Regimes zu legitimieren und zu stützen. Eigentlich hätte ich schon viel früher misstrauisch werden sollen. Wie ein Wolf im Schafspelz kam Thilo Sarrazins Machwerk «Deutschland schafft sich ab» daher. Es ist ja nicht nur so verachtenswert, weil es eine braune Denkkultur rechtfertigt, sondern weil es so sachlich, vernünftig, naturwissenschaftlich begründet und in nachvollziehbaren ökonomisch-historischen Überlegungen argumentiert. Der Rassismus ist bei schreienden Horden relativ überschaubar. Der Rassismus, der sich als Wissenschaft, Fortschritt und Ökologie verkleidet, ist indessen brandgefährlich. Die Verknüpfungen von Vernunft, Logik und statistischen Korrelationen sind so verführerisch, dass wir leicht vergessen, dass die Qualität der Politik nicht an Modellen, sondern an Menschen gemessen werden muss. Das beste schweizerische Beispiel der Wölfe im Schafspelz ist momentan die Ecopop-Initiative. Hand aufs Herz, liebe Vernunftmenschen unter uns: Wer findet nicht auch schon längst, dass wir in der Schweiz, ja in der Welt tatsächlich unter Überbevölkerung leiden? Wer kennt nicht die Argumente der Ratten, die sich kannibalisieren, wenn sie zu eng aufeinander leben müssen? Hand aufs Herz: Wer kann nicht den interessanten Gunnar Heinsohn verstehen, der eindrücklich belegt, dass eine Überpopulation von jungen Männern in jedem Fall zu Krieg führt, wenn diese keine Zukunftsaussichten haben? Wer findet nicht auch, dass durch die fehlende Geburtenkontrolle und die fehlende Säkularisierung in den arabischen, asiatischen und afrikanischen Ländern seit über 40 Jahren echte Horrorszenarien teilweise schon gelebt werden? Solche Überlegungen werden nie politisch laut geäussert, sondern in wissenschaftlichen Studien nett verpackt. Statistiker, Demographen und Reproduktionsärzte bemühen sich wie die Hedgefonds-Manager um einen sachlichen, neutralen Ton und tun so, als gäbe es keine Alternativen zu dem, was sie in ihrer Hybris alles präsentieren. Technik macht so Politik mit dem Resultat, dass Armut, Umweltzerstörung und demographische Missentwicklungen weitergehen und sich verschlimmern. Denn es ist eben nicht die Technik, die Menschen sozial, politisch mündig, kooperativ, ökologisch nachhaltig handelnd und glücklich macht. sondern die Politik, die von den Menschen selber unter Gleichen und Freien vereinbart wird. Doch statt umzukehren, statt die Verheissung der Aufklärung weiterzuverfolgen, statt Demokrits Warnung, dass beim Sieg der Vernunft die Vernunft selber ausgelöscht wird, ernstzunehmen, wird das Gegenteil praktiziert. Wer Lebewesen Raum und Zeit geben will, sich zu entwickeln, muss Politik und Technik zusammenführen. Aber eben nicht unter dem Primat der Technik! Wer Lebendigkeit und nicht tote Materie verehrt, muss Verantwortung übernehmen.



Thilo Sarrazin: Verführerisch und gefährlich. /

Wer mit Apartheitssystemen zusammenarbeitet, die Frauen abtreiben, unterdrücken, foltern und schliesslich ermorden - siehe Saudi Arabien, China, Sudan, Iran, Indien etc. , schadet allen Lebewesen und sollte entsprechend zur Verantwortung gezogen werden. Wer Frauen weltweit nicht bildet, sondern abtreibt und ermordet, wird weitere Millionen junger, zorniger Männer ohne Zukunftsaussichten, dafür mit wahnsinnigen Ideologien im Kopf, produzieren. Wer Diktaturen, autoritäre Regimes und Kartelle unterstützt, wird froh sein, wenn er in zehn Jahren in einer «Gated Community» mit gekauften Frauen leben kann. Doch statt auf Politik und politische Sinnkonzepte setzt Ecopop mit seinen Universitätsprofessoren auf Technik und präsentiert sich als eine neue Art von Wutbürger, die den rechtspopulistischen Stammtischsumpf mit ihrer menschenverachtenden Intelligenz wie eine ehemalige DDR-Krippe ausschauen lassen. Die grosse inhaltliche und wissenschaftliche Unterstützung, welche die Ecopop-Initiative überall in der Schweiz erfährt , sollte uns aufhorchen lassen und Anlass bieten, über den neuen, antidemokratischen Typus des Vernunftmenschen nachzudenken. Die Blut- und Bodenökologie wird eindrücklich mit naturwissenschaftlichen Belegen, historischen Herleitungen und vernünftigen Argumenten legitimiert. Sie wird allen Ernstes von anständigen Bürger und Bürgerinnen vertreten, denen klare statistische Zusammenhänge, die Verschwendung natürlicher Ressourcen sowie das unbegrenzte Wachstum von Menschen und Waren Unbehagen bereitet. Die sachdienlichen Hinweise und die vernünftigen Argumente sollten jedoch niemanden von der eigenen Schuld und dem eigenen Verantwortungsbewusstsein entbinden, darüber nachzudenken, welche politische Konsequenz ein Denken hat, das im Kern den Menschen so kategorisiert, dass es gute Begründungen gibt, ihn zu vernichten. Wir haben diese Art von Menschen, welche die kalte naturwissenschaftliche Vernunft in Politik umwandeln, völlig unterschätzt. Dabei kennen wir sie aus der Geschichte als effiziente nationalsozialistische Unterstützer. Der lächerliche und gescheiterte Postkartenmaler aus Österreich wurde ja nicht ausschliesslich vom braunen Pöbel, sondern von den feinsinnigen Geisteswissenschaftler und auch von den von Darwin et al. begeisterten Natur-, Rassen- und Biowissenschaftlern unterstützt. Ohne nationalsozialistische Bio-«ethiker» wäre die Vernichtung von Menschenleben nie derart unhinterfragt und systematisch durchgeführt worden. Selbst unpolitische Ärzte brauchten eine Begründung, um ihren hippokratischen Eid zu verletzen. Aus den Nürnberger Protokollen wissen wir, dass sie den zynischen und menschenvernichtenden naturwissenschaftlichen Kategorien ohne menschliche Schuldgefühle folgten. Also: Es geht dringend und sofort darum, nicht nur die fundamentalistischen Fanatiker auf ihr Menschenbild aufmerksam zu machen, sondern auch die sogenannten «Vernünftigen». Denn erstaunlicherweise haben die Ziele und Absichten beider Gruppierungen frappierend ähnliche politische Konsequenzen.

Links zum Artikel:

Link zum Buch Gunnar Heinsohns Gunnar Heinsohns Buch «Söhne und Weltmacht» auf der Verlagsseite.


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