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Ein Start ins Ungewisse

Die Radikalkur im Regelwerk der Formel 1 hat im Vorfeld der WM 2014 für immense Turbulenzen gesorgt. Mit dem Grand Prix von Australien erfolgt am Sonntag in Melbourne ein Start ins Ungewisse.

ig / Quelle: Si / Dienstag, 11. März 2014 / 15:48 h

Unwägbarkeiten haben sich in der vorsaisonalen Phase der Formel-1-WM seit jeher breit gemacht. Doch die aktuelle Situation geht über den "Courant normal" hinaus und kommt das Unberechenbare mit besonders intensiver Wucht daher. Die einschneidenden Umwälzungen im Reglement, die unter anderem den Wechsel von Acht-Zylinder-Saugmotoren zu V6-Turbo-Aggregaten, ein neues Energierückgewinnungssystem und Veränderungen in Bezug auf die Aerodynamik mit sich bringen, haben dafür gesorgt, dass die Technik-Abteilungen der Teams wohl noch lange mit der Suche nach der Ideal-Lösung beschäftigt sein werden. Zur kniffligen Aufgabe gesellte sich der Faktor Zeit. Die zwölf vom Internationalen Automobil-Verband FIA zugestandenen Testtage waren etwas gar knapp bemessen, um für die gesamte komplexe Problematik probate Mittel zu finden. Unsicherheit und Zweifel waren flächendeckend auszumachen.

Vorteil Mercedes

Die entscheidendste Erfolgskomponente an den neuen Autos stellt der Antriebsstrang dar. Diesbezüglich scheint Mercedes die besten Voraussetzungen geschaffen zu haben, um dem angestrebten Optimum nahe zu kommen. Die Marke mit dem Stern stellt der eigenen Equipe und den Partner-Teams Williams, McLaren und Force India ein Gesamtpaket zur Verfügung, dessen Überlegenheit sich im Zuge der Testfahrten im Vergleich mit den Produkten von Ferrari und Renault manifestiert hat. Die Scuderia rüstet zusätzlich Sauber und Marussia aus, Renault ist mit Red Bull, Toro Rosso, Lotus und Caterham verbandelt.

Dass dergestalt den Fahrern des Rennstalls Mercedes die Favoritenrolle zugeschoben wird, überrascht nicht. Beim offiziellen Üben in Jerez de la Frontera (Sp) und Sakhir (Bahrain) hat sich primär Nico Rosberg mit konstanten Leistungen in den Vordergrund gefahren. Dem Deutschen wird auch von der Konkurrenz attestiert, bei der Titelvergabe ein gewichtiges Wort mitreden zu können. Für Rosberg spricht nicht nur die (aktuelle) Überlegenheit seines Dienstwagens, sondern auch die Fähigkeit des gefühlvollen Lenkens, was in einem Auto mit Turbo-Motor zum Vorteil gereichen kann. Entsprechendes Talent ist primär in den Kurven, die nunmehr mit geringerem Tempo durchfahren werden, als auch beim Beschleunigen gefragt, wenn die immense Schubkraft perfekt genutzt werden soll. Zudem erfordert die auf 100 Kilo beschränkte Benzinmenge schonenderes Fahren.

Zumindest in der Öffentlichkeit halten sie sich bei Mercedes trotz rosiger Aussichten bedeckt. "Die guten Test-Ergebnisse sind noch längst kein Grund, um in Jubel auszubrechen", warnte Motorsportchef Toto Wolff vor verfrühter Euphorie. "Trainingsweltmeister hat es schon viele gegeben. Wichtig ist, dass wir das in den Tests Gezeigte im ersten Rennen in Melbourne umsetzen können. Sagen wir es so: Wir können vorsichtig optimistisch sein."

Geheimtipp Massa

Dank dem Mercedes-Aggregat ist offenbar auch ein Fahrer befähigt, vorne mitzumischen, dem in der vergangenen Saison viele das Ende seiner Karriere prophezeit haben: Felipe Massa. Der Brasilianer, von Ferrari nach acht Jahren ausgemustert, strahlt nach dem Wechsel zu Williams wieder Zuversicht aus. Der abgestossene Zwang, seinem Teamkollegen als Adlat dienen zu müssen, hat positive Wirkung.



Mit Blick auf den Saisonauftakt mischt sich bei Sebastian Vettel eine Prise Optimismus.(Archivbild) / Foto: EQ Images

Massa, der sich den Respekt seiner Gegner mit gelungenen Auftritten bei den Testfahrten verdient hat, ist Sinnbild für die umfassenden Veränderungen bei seinem neuen Arbeitgeber. Williams scheint nicht nur sportlich wieder Tritt fassen zu können. Der Traditions-Rennstall spürt auch abseits der Rennstrecken Aufwind. Dank potenten Sponsoren, darunter der weltweit führende Wermut-Hersteller Martini, dürften die finanziellen Sorgen der Vergangenheit angehören.

Die Schadenfreude gegenüber Ferrari wäre selbstredend gross, würde sich Massa wieder im Kreis der Besten bewegen - als Angestellter eines Rennstalls, der für den Südamerikaner einzig und allein als Notlösung betrachtet worden war. In Maranello ist Massa längst Geschichte, die Gegenwart verkörpern Fernando Alonso und Rückkehrer Kimi Räikkönen. Gedanken über mögliches Konfliktpotenzial zwischen den beiden früheren Weltmeistern haben mittlerweile keinen Platz mehr bei der Suche nach dem Weg, der zur Tilgung des technischen Rückstands gegenüber Mercedes führen soll. In erster Linie hat es Alonso satt, in einem leistungsmässig unterlegenen Auto Platz nehmen und sich mit der Rolle des Herausforderers bescheiden zu müssen. Für den Spanier gilt es aber auch, sich teamintern von seinem neuen Gefährten abzuheben. Im Gegensatz zu Massa wird Räikkönen in erster Linie darauf bedacht sein, seine eigene Chance wahrzunehmen.

Vettels Hoffnung

Derweil Ferrari die Möglichkeit sieht, sich zumindest in Schlagdistanz zu Mercedes zu bewegen, liegt bei Red Bull im Moment zu viel im Argen, um an vorderster Front eine tragende Rolle einnehmen zu können. Bei den Testfahrten jedenfalls reihte sich eine Ungereimtheit an die andere. Im Zentrum der Probleme stand der von Renault gelieferte Antriebsstrang. Das Zusammenspiel zwischen Turbomotor und Hybridsystem klappte selten bis nie in gewünschtem Mass. Titelhalter Sebastian Vettel und seinem neuen australischen Kollegen Daniel Ricciardo, dem Nachfolger von Landsmann Mark Webber, waren bei Weitem nicht in der Lage, das geplante Vorbereitungsprogramm abzuspulen. Vom Tief gleichermassen erfasst sind der Speed und die Standfestigkeit des Autos. Fürs Erste scheint die Dominanz gebrochen, die Vettel vier WM-Titel in Folge eingetragen hat.

Mit Blick auf den Saisonauftakt am Sonntag mischt sich bei Vettel in den Realismus eine Prise Optimismus. "Wir befinden uns in einer schwierigen Situation. Aber erst in Melbourne werden wir wissen, wie weit wir von der Konkurrenz entfernt sind." Die leise Hoffnung des Hessen mit Wohnsitz im Thurgau fusst auf einem in den letzten Tagen total überarbeiteten RB10. "Das Auto, das wir in Melbourne einsetzen, wird nur von aussen jenes sein, mit dem wir die Testfahrten bestritten haben. Die technischen Innereien werden andere sein." Völlig neu wird das Innenleben des Autos gleichwohl nicht sein. Der Motor muss dem Modell entsprechen, das Red Bull den Kontrolleuren der FIA Ende Februar zur Homologierung vorgelegt hat. Jene Ausbau-Stufe dient als Referenz für die gesamte Saison.

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