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In Vino Veritas

Der chinesische Weinmarkt bewegte sich in den letzten drei Jahrzehnten stetig nach oben. Obwohl mittlerweile etwas abgeflacht, sind die Aussichten gut. Sowohl für heimische wie für ausländische Kellereien und Gewächse.

Peter Achten/ Peking / Quelle: news.ch / Montag, 22. Dezember 2014 / 08:53 h

Wenn in China von Wein die Rede ist, muss immer präzisiert werden. Was im Westen unter «Wein» verstanden wird, heisst auf Chinesisch «Trauben-Alkohol» (Putaojiu). Denn der einheimische, hochprozentige Wein (Jiu = Alkohol) heisst zum Beispiel Baijiou, Weisser Alkohol, und wird aus Getreide - meist Sorghum oder Hirse - gebrannt. Eine grosse Zahl anderer Weine, ebenfalls mit über 50 Prozent Alkoholgehalt, werden auf Basis von Früchten, Reis und weiteren landwirtschaftlichen Produkten hergestellt. Das vor über hundert Jahren von den deutschen Kolonialisten und Imperialisten in China eingeführte Bier beherrscht jedoch heute mit Abstand den alkoholischen Getränkemarkt. Mit der wirtschaftlichen Reform und dem steigenden Wohlstand aber wird Trauben-Wein in den Grosssstädten zumindest immer populärer. Man könnte es auch so formulieren: die breiten Massen trinken Bier, die Elite und immer mehr auch der Mittelstand wenden sich genüsslich dem Wein zu. Nun ist es nicht so, dass Trauben und Wein erst mit den Ausländern nach China gekommen wäre. Weit davon entfernt. China hat wie vieles andere - wen wundert es noch - auch den Wein «erfunden». Chinesische Archäologen berichten, dass schon 2'600 vor unserer Zeitrechnung Trauben im Reich der Mitte heimisch waren. Zur Zeit der Han-Dynastie (221 vor bis 220 nach Berginn unserer Zeitrechnung) becherten am kaiserlichen Hof Chinesinnen und Chinesen mit edlen Tropfen aus Zentralasien, zumal aus dem Ferghana-Tal (heute Usbekistan). In der Tang-Dynastie (618-907 AD) befeuerte Wein die Dichter und Denker. Der berühmteste Dichter Chinas, Li Bai, sein Dichterfreund Du Fu und sechs weitere Verseschmiede wurden bekannt als «die acht Unsterblichen des Weinglases». Sie verfassten unter dem Einfluss von Trauben-Alkohol die schönsten Gedichte der Weltliteratur. Zur selben Zeit tranken im dunklen Europäischen Mittelalter Mönche in den Klöstern allenfalls saure Säfte aus heimischen Reben, und im Wallis sowie am Neuenburger- und Genfersee trank man wohl noch Wasser, Milch und allenfalls einfältigen Fusel-Schnaps. Der Wein-Boom in China ist zwar eng verflochten mit den durch die Wirtschaftsreform ermöglichten höheren Einkommen weiter Bevölkerungskreise. Doch bereits kurz nach dem Ende des Bürgerkriegs gegen die Nationalisten kredenzten die siegreichen Kommunisten beim Festbankett im Oktober 1949 zur Ausrufung der Volksrepublik roten Wein aus der nordöstlichen Weinbau-Provinz Jilin. Zehn Jahre später lobte Premierminister Tschou En-lai nach einem Staatsbankett den ebenfalls in Jilin gekelterten Tonghua-Wein über allen Klee. Der rote Tropfen wird wohl so geschmeckt haben, wie heute die Massenware aus den Weingütern «Dynasty» oder «Great Wall»: viel Sirup im Körper und noch mehr Essig im Abgang. Doch heute ist alles anders. China wird als Markt genausogut wie als Produzent weltweit ernst genommen. Im Jahre 2013 wurden 2,17 Milliarden Flaschen Wein - davon 80 Prozent Roter - konsumiert. Damit ist China als Wein-Trinker-Nation die Nummer 5 weltweit. Zwischen 2010 und 2012 allein hat sich die Trinkfreude verdoppelt. Weinexperten rechnen damit, dass bis ins Jahr 2020 China der grösste Weinmarkt überhaupt sein wird. Bei sehr teuren Weinen ist China hinter den USA bereits die Nummer 2. Für Europäische Winzer ist das Reich der Mitte ein Eldorado, zumal für die Franzosen. Es überrascht deshalb kaum, dass für Bordeaux-Weine China noch vor Deutschland und Grossbritannien der wichtigste Exportmarkt ist. Ins Bild passt, das Hong Kong unterdessen zum grössten Markt für Auktionen kostbarer Weine aufgestiegen ist. Die Bordeaux-Manie freilich hat in den letzten zwei Jahren einen empfindlichen Dämpfer erhalten. Allein im vergangenen Jahr ist der Umsatz um 18 Prozentpunkte gesunken. Kein Wunder, denn seit Staats- und Parteichef Xi Jinping vor zwei Jahren an die Macht gekommen ist, heisst es für die privilegierte Klasse der hohen Staatsdiener, den Gürtel enger schnallen. Geschenke wie ein Chateau Grand Cru Classé aus dem Bordelais oder auch X-Sternenfachen Cognac, von Luxusuhren und dergleichen ganz zu schweigen, sind derzeit politisch inkorrekt und verpönt. Ach bei offiziellen Essen verschwanden teure Importweine vom Tisch und wurden durch wohlfeile heimische Tropfen ersetzt. Waren das noch Zeiten.



Chinesisches Bier für die Massen, chinesischer Wein für den Mittelstand. /

Vor 25 Jahren wurde ich von einem Beamten in Shenzhen (nahe Hong Kong), der «ins Meer gesprungen» ist, mithin also seine sichere Staatsstelle - auch Eiserne Reisschale genannt - erfolgreich gegen das riskante Privatunternehmertum ausgetauscht hat, zum Mittagstisch eingeladen. Im Mercedes-Luxuswagen wurde ich am Bahnhof abgeholt. Im Restaurant wurde das Beste vom Besten aufgetischt, von Haifischflossen bis hin zu Schwalbennest-Suppe. Zu trinken gab es ebenfalls das Beste vom Besten: Château Lafite Rothschild Millésime nämlich. Der Gastgeber goss mit dem ganzen Stolz des Arrivierten ein und ergänzte das ganze mit etwas Fanta. Fanta-Lafite schmeckte, um es vorsichtig auszudrücken, interessant. Prostend dachte ich mir, na ja, die Bündner mischen bei durstigem Wetter zuweilen ihren Veltliner-Hügelwein auch mit Bergamot. Nur ist das natürlich sehr viel billiger. Doch die Fanta-, Cola-Zeiten sind längst passé. Das Wein-Wissen unter der schnell wachsenden Mittelklasse wird gemehrt, unter anderem auch durch Degustationen und Wein-Kurse. Ein Zeichen, dass das Verständnis wächst, sind Wein-Bars in den Grossstädten. Tranken Chinesinnen und Chinesen einst nur beim Essen, verkosten sie nun manchmal zum Ausspannen mit Freunden ein Glas Rotwein. Massenware findet zwar nach wie vor Absatz. Doch der Weinbau hat sich in den letzten fünfzehn Jahren stark professionalisiert. Das Fachwissen wurde wie in anderen Bereichen - zum Beispiel Hochgeschwindigkeitszüge, Flugzeugbau, Pharma etc. - entweder eingekauft oder schlicht kopiert. Önologen aus Europa, vor allem aus Frankreich, halfen in den wichtigen Anbaugebieten - Shandong, Ningxia, Xinjiang, Shanxi, Jilin, Hebei, Tianjin oder Peking - aus. Aber auch Chinesen zog es in die Ferne, wie zum Beispiel Emma Gao. Sie studierte Literatur an der heimischen Universität Yinchuan, danach Agronomie in Leningrad und erwarb schliesslich an der Universität Bordeaux das Diplôme National d'Oenologue. In der Provinz Ningxia betreibt sie das Familieneigene Weingut Silver Heights. An den Hängen des Helan-Berges scheint pro Jahr über 3'000 Stunden die Sonne. Ideale Verhältnisse für die Kultivierung von Cabernet Sauvignon. Unterdessen ist das eine oder andere Château im Bordelais und anderswo in Frankreich von vermögenden chinesischen Weinliebhabern aufgekauft worden. Wissenstransfer im Promillebereich sozusagen. Viele der insgesamt 900 chinesischen Weinkellereien auf 500'000 Hektaren mit einem jährlichen Ausstoss von 12 Millionen Hektolitern setzen mit jungen heimischen und europäischen Önologen immer mehr auf Qualität anstatt Quantität. Die Resultate können sich sehen lassen. Bei einem Blindtest unter dem Schlagwort «Bordeaux gegen Ningxia» schwangen vier der fünf Ningxia-Weine obenaus. Ein Roter, der international Beachtung fand, kommt vom Weingut Grace Vineyard (Shanxi Provinz) und heisst - für europäische Ohren noch etwas gewöhnungsbedürftig - «Réserve des Vorsitzenden 2009». Selbst der Capo dei Capi der weltweiten Weingemeinde, Robert Parker, ist mittlerweile auf China aufmerksam geworden und verteilt huldvoll seine ersten begehrten Punkte. Die Schweizer Wein-Päpste Philipp Schwander, Chandra Kurt und Peter Rüedi werden wohl auch nicht mehr lange auf sich warten lassen. Dennoch muss betont werden: Wein wird in China niemals zur Massenware wie etwa Bier. Der grosse Revolutionär und Reformer Deng Xiaoping hat einst nicht von ungefähr gesagt: «Die Wahrheit in den Tatsachen suchen». Frei übersetzt also In Vino Veritas. Oder um es kommunistisch und KP-Chinesisch deutlich zu sagen: die Proletarier aller Provinzen und Länder trinken Bier, die Mittelständler Wein, die Oberen Mittelständler Prosecco und die Elite Bordeaux und Champagner.

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