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Irr, irrer, Gaddafi

«Durchgeknallt» ist eines der Worte, das einem zur schweizerisch-libyschen Posse einfällt. «Bescheuert» ist auch unter den Top Ten und bestimmt auch «unglaublich». Diese Dinge fallen einem ein, wenn man die Tagesaktualitäten betrachtet. Schaut man sich hingegen die ganze Affaire an, fehlen einem die Worte.

Patrik Etschmayer / Quelle: news.ch / Freitag, 5. März 2010 / 11:48 h

Die Verhaftung von Hannibal Gaddafi im Juli 2008 war der Beginn eines diplomatischen Streites, der sich durch irrationales und absurdes Handeln auf allen Seiten auszeichnet. Als der Diktatoren-Sohn in Genf festgenommen wurde, weil er und seine Frau zwei persönliche Bedienstete verprügelt hatten, war eigentlich schon klar, dass diese Aktion sinnlos sein würde. Zudem hatte man die beiden Opfer bereits gerettet. Rein rechtsstaatlich war es natürlich in Ordnung, aber der als notorischer Schläger bekannte Hannibal Gaddafi hätte einfach dezent ausgewiesen werden sollen, mit dem Hinweis, dass vermutlich eine Strafuntersuchung eingeleitet würde und er verhaftet werden könnte. Man wäre den brutalen Diktatorensohn losgewesen, hätte die Opfer beschützt und alles wäre im libyschen Wüstensand verlaufen.

Stattdessen wurde der (allem Anschein nach psychopathische) Hannibal Lector...äh Gaddafi... inhaftiert und zwei Tage darauf gegen Kaution frei gelassen. Seither prügelt er in anderen Luxus-Hotels herum, Papi Gaddafi (der allem Anschein nach auch nicht alle Kamele im Stall stehen hat), tobte, Schweizer Bürger wurden verhaftet und Schweizer Politiker machten sich zum Narren.

Hans-Rudolf Merz' Libyen-Abstecher wird vermutlich als der albernste diplomatische Trip in die Geschichte eingehen. Retrospektiv lässt sich sagen, dass er Gaddafi damals nur hätte besänftigen können, wenn er den Kopf des Genfer Polizeichefs im Diplomatengepäck mitgebrachthätte.

Stattdessen hoffte er, mit einem Kotau vor einem völlig irrationalen Despoten, die Wellen glätten zu können und kam mit einem völlig wertlosen Vertrag zurück.

Die ewige Querele bekam im vergangenen September neuen Schub, als die «Tribune de Genève» die Polizeifotos vom verhafteten Hannibal, die auf illegalem Weg beschafft wurden, veröffentlichte. Und ja, der Kerl sieht darauf echt Sch... aus. Schlecht rasiert, unfrisiert und stocksauer schaut er an der Kamera vorbei. Auf alle Fälle: nicht cool und toll, wie sich dieser prügelnde Kindskopf gerne dargestellt sieht.

Ein Mensch mit normalem Ego schluckt so was. Aber sicher nicht ein Diktatoren-Sohn aus der Wüste, wo Ehre alles ist und Verantwortung für die eigenen Taten nichts. Die Eskalation war da nur logisch und dass es die Genfer Behörden bis heute nicht geschafft haben, den Schuldigen zu finden (in Libyen hätten sie das einfach aus den Journalisten rausgeprügelt... wo ist also das Problem?), macht die ganze Sache noch brisanter.

Jetzt also das Embargo von Libyen, ausgesprochen nur Stunden nach der Botschaft, dass die Krise bald bewältigt sein werde, was wiederum eine Woche nach einem Aufruf zum heiligen Krieg von Papa Gaddafi daherkam. Und ja, die angedrohte Erstürmung der Botschaft ging da fast vergessen.

Dies vor dem Hintergrund der Schweizer Einreisesperre gegenüber 150 libyschen Bürgern, Solidaritätsbekundungen der Arabischen Liga (einem Diktatoren- und Autokratenclub) mit Libyen und einem diplomatischen Kuddelmuddel mit der EU.

Eine Lösung ist momentan noch nicht in Sicht, der Schweizer Max Göldi sitzt immer noch als Faustpfand in libyscher Haft, jeder Tag könnte eine neue Überraschung bringen und genau damit kommt die Schweiz nicht wirklich klar: Gaddafi handelt aus unserer Sicht heraus völlig irrational, ja irre.

Nur: Gaddafi loszuwerden oder auch nur zu zivilisieren haben schon ganz andere nicht geschafft. Nicht einmal US-Bomben konnten ihn beseitigen und Sinnhaftigkeit in seinen Handlungen zu finden, gelang bisher auch noch kaum jemandem. Dass er und seine Clique international toleriert wird, liegt vor allem am Öl in der Wüste Libyens. Und dieses wiegt für viele Länder mehr, als die Interessen der Schweiz oder die Menschenrechte, die von Gaddafi mit Füssen getreten werden.

Eigentlich bleibt der Schweiz – im Interesse von Max Göldi – nichts anderes übrig, als den Ball möglichst tief zu halten, allenfalls die Datenlücke von Genf zu finden und so selbst sauber da zu stehen.

Denn Gaddafis zunehmend irres Verhalten – zuletzt eine Drohung gegen US-Ölfirmen wegen eines Kommentars zu seinem Dschihad-Aufruf durch den Sprecher des US-Aussenministeriums – könnte ihm am Ende selbst am meisten schaden. Und das wäre endlich mal wieder etwas, worüber man sich freuen könnte. Aber nur ganz leise, diplomatisch und nicht irr.


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