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Tiananmen: Mythos und Wirklichkeit

Das Massaker auf dem Platz vor dem Tor des Himmlischen Friedens Tiananmen 1989 in Peking hat nie stattgefunden. Der australische Diplomat Gregory Clark, damals in der chinesischen Hauptstadt stationiert, schreibt in einem Artikel der «Japan Times» von einem «Mythos der westlichen Medien».

Peter Achten / Quelle: news.ch / Dienstag, 26. Juli 2011 / 08:52 h

Bereits Wochen zuvor verbreitete sensationslüstern WikiLeaks die Nachricht als aufseherregenden Scoop. Dabei ist der Sachverhalt seit über zwanzig Jahren klar. Natürlich stürzten sich die von der KP Chinas gesteuerten Medien mit Hochgenuss auf die aus westlichen Quellen stammenden Einschätzungen. Seht her, so etwa der Tenor, derart «fälschen» die westlichen Journalisten die Ereignisse, damit sie in ein vorgefasstes Schema passen. China Daily, das Regierungs-Sprachrohr fürs Ausland, urteilt, dass mit diesen Berichten das «falsche Bild einer brutalen chinesischen Regierung» gezeichnet werden sollte. Die «Global Times», ein Ableger der Parteiblattes «Renmin Ribao» (Volkszeitung) setzt noch eins drauf: das «Tiananmen-Massaker» sei ein «klassisches Beispiel für die Seichtheit und Voreingenommenheit der meisten westlichen Medien». In der Nacht vom 3. auf den 4. Juni 1989 kam auf dem Tiananmen-Platz tatsächlich niemand ums Leben. Das ist trotz WikiLeaks Sensationsmache keinesfalls neu. Die wenigen noch ausharrenden Studenten konnten mit der Volksbefreiungsarmee einen friedlichen Abzug aushandeln. Ein Korrespondent der britischen Nachrichten-Agentur Reuters und ein Korrespondent des spanischen Fernsehens waren vor Ort und haben das damals so berichtet. Andere Journalisten freilich weit von Schuss – unter anderem von der amerikanischen Radiostation VOA (Voice of America) und der britischen BBC – haben von Hunderten von Toten, von einem Massaker berichtet. Ein «Tiananmen-Massaker» im engeren Sinne aber hat tatsächlich, wie die chinesische Regierung immer behauptet hat, nie stattgefunden. Auch ihr Kolumnist kann das bestätigen, der in jener Nacht gut in einem Busch versteckt am Rande des Tiananmen-Platzes den Abzug der Studenten verfolgt hat. Der Ausdruck «Tiananmen-Massaker» freilich ist heute zur Metapher geworden für die damaligen Ereignisse insgesamt. Was nämlich die chinesische Regierung und die Medien seit jeher verschweigen ist die Tatsache, dass am Rande des Tiananmenplatzes und darüber hinaus in jener Nacht Hunderte starben. Es waren aber nicht Tausende, wie VOA und andere westliche Medien damals vorschnell verbreiteten. Nach Quellen des chinesischen Roten Kreuzes und eines damals in Peking weilenden Vertreters des IKRK mit guten Kontakten zu Spitälern waren es mehrere Hundert. Ihr Kolumnist hat mit eigenen Augen gesehen, wie Soldaten der Volksbefreiungsarmee in Qianmen-Quartier wahllos in die Menge schossen, wie an der Jiangoumenwai-Brücke ein Panzer zwei Zivilisten überfuhr und tötete und wie eine aufgebrachte Menge von Pekinger Bürgern zwei Soldaten gefangennahm, anzündete und an einer Fussgängerüberführung brennend aufknüpfte. Der Ausdruck «Tiananmen-Massaker» wird heute also für all diese schrecklichen Ereignisse verwendet. Kein Mythos also. Die Berichterstattung der westlichen Medien damals war gewiss keine Sternstunde der Pressefreiheit und des Qualitäts-Journalismus. Das gilt freilich nicht nur für die Ereignisse jener schicksalhaften Nacht vom 3. auf den 4. Juni 1989.



Das Massaker fand neben dem Tiananmen-Platz statt. /

Der ganze Studentenprotest wurde mangelhaft begleitet, nicht zuletzt deswegen, weil aus einem ganz anderen Grund sehr viele Journalisten aus dem Ausland sich in Peking aufhielten. Im Mai nämlich war der sowjetische Parteichef Gorbatschow auf Staatsvisite in Peking, um das sino-sowjetische Schisma nach dreissig Jahren zu beenden. Gorbatschow konnte von der chinesischen Führung nicht wie andere hohe Staatsgäste auf dem Tiananmen empfangen werden, vielmehr musste sich der sowjetische Gast durch die Hintertüre in die Grosse Halle des Volkes schleichen. Die chinesische Führung verlor das Gesicht, ein nicht unwesentlicher Faktor in China, der zur Unbeugsamkeit der roten Mandarine führte. Für westliche Medien war Gorbatschows Besuch natürlich nach dem Motto «bad news is good news» ein gefundenes Fressen. Viele eingeflogene Korrespondenten berichteten ohne jede Sachkentniss sensationsgeil vom Platz vor dem Tor des Himmlischen Friedens. Dan Rather, der berühmte Moderator der amerikanischen Fernsehkette CBS, stapfte in gleissender Hitze in Anzug und Krawatte durch die gutgelaunten, aufgestellten Studenten auf dem Tiananmen-Platz und stellte dumme Fragen. Die Studenten-Proteste wurden und werden bis auf den heutigen Tag fälschlicherweise als «Demokratie-Bewegung» dargestellt. Der Protest begann ganz banal als Kampf für bessere Studienbedingungen und besseres Essen in der Uni-Kantine. Wegen der damaligen überhitzten Wirtschaft und einer galoppierenden Inflation erhielten die Studenten bald Unterstützung von Arbeitern, Angestellten, Regierungsbeamten und Parteikadern. Das Politbüro, das alles entscheidende Organ in der Volksrepublik, war gespalten. Der grosse Reformer und Revolutionär Deng Xiaoping fällte schliesslich den Entscheid, dem Protest Manu Militari ein Ende zu setzen. Wie bereits die Kaiser seit Jahrhunderten fürchtete auch Deng und das Politbüro das «Chaos» und mithin den Verlust des «Mandats des Himmels», also der Macht. Ohne Stabilität, so Dengs Argumentation, kein Wirtschaftswachstum und mithin keine Verbesserung des Lebensstandards für die «Massen». Was westliche Beobachter und Korrespondenten in den 80er-Jahren ebenfalls sträflich vernachlässigten, war die politische Analyse. Geblendet bereits damals vom wirtschaftlichen Erfolg der «sozialistischen Marktwirtschaft chinesischen Prägung» glaubten viele, dass in China mit dem Kapitalismus fast automatisch auch westliche Demokratie Einzug halten werde. Das war eine grobe Fehleinschätzung, denn Deng hatte nie etwas mit Demokratie am Hut. Die «Mauer der Demokratie» in Peking verbot er Ende der 70er-Jahre, und die Studentenproteste in Hefei (Provinz Anhui) liess er im Winter 1986/87 niederknüppeln. Dengs handverlesener, äusserst populärer Parteichef Hu Yaobang verlor darüber seinen Job, und Hus Tod 1989 war dann der Auslöser für die Pekinger Studentenproteste. Doch von Dengs knallharter Haltung wollte im Westen in der ersten China-Euphorie niemand etwas wissen, auch Redaktionen von Qualitätsblättern nicht. Der Entscheid Dengs, die Volksbefreiungsarmee einzusetzen, war im Rückblick wohl konsequent, wenn die wirtschaftliche Entwicklung und das «Wohl der Massen» als wichtigster Massstab angelegt wird. Aber es war eine Tragödie. Im offiziellen China wird das bis heute bestritten und verdrängt. Es war parteiamtlich ein «konterrevolutionärer Aufstand». Was für ein Unsinn. Das «Tiananmen-Massaker» als Metapher genommen ist kein Mythos sondern blutige Tatsache. Dass sich aber ein australischer Diplomat und WikiLeaks von der allmächtigen Kommunistischen Partei Chinas im Jahre 2011 instrumentalisieren lassen, ist eine Schande.

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