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Weihnachten? Aber immer gern!

Was bedeutet Weihnachten einem Atheisten? Rösti, Spiegeleier und Feenflügel! Ein Plädoyer für einen entspannteren Umgang mit einem heillos überfrachteten Feiertag.

Claude Fankhauser / Quelle: news.ch / Dienstag, 24. Dezember 2013 / 15:20 h

Es wäre unglaubwürdig, zu behaupten, Weihnachten gehe an einem Atheisten spurlos vorbei. Immerhin wird man spätestens ab Ende Oktober vom Detailhandel auf diesen Höhepunkt der kommerziellen Festkultur eingestimmt, wird im Fernsehen, im Internet und in der Zeitung mit «Weihnachts-Aktionen» und «X-Mas Specials» bombardiert. Man müsste unter einem riesigen Felsen in einem einsamen Tal wohnen, dazu blind und taub sein, um nicht zu merken, dass es wieder losgeht, das alljährliche Ritual, das sowohl in seiner Konsumorientiertheit als auch bezüglich Sinnentleerung und dem termingerechten Abrufen konservierter Emotionen nicht von der Fasnacht oder der Suche nach dem neuesten Superstar unterscheidbar ist. Sicherlich, das ganze Theater rund um diesen Tag nervt mich ungemein. Die Heilsarmee, deren Nächstenliebe dort aufhört, wo die sexuellen Präferenzen des Gegenübers mit der ach so frohen Botschaft kollidiert, scheint ihr blechernes Repertoire ausschliesslich vor meinem Bürofenster abzukurbeln (der Vergleich mit der berüchtigten Metallica-Folter in Guantanamo ist zwar geschmacklos, aber trotzdem naheliegend). Ich erkenne hinter der Weihnachtsbeleuchtung die touristische Absicht und hinter der Rollschinkli-Aktion das Credo der Umsatzsteigerung. Ich staune, wieviel Geld für Geschenke ausgegeben wird, die nie gewünscht wurden. Oder für Wohnraumdekoration, deren billigst mögliche Herstellung sicherstellt, dass sie spätestens am 1. Januar nur noch zur Entsorgung taugt, denn schliesslich möchte man im Konsumenten ja auch nächstes Jahr zuverlässig den Kaufreiz auslösen. Es stimmt mich traurig, dass Weihnachten die Hoch-Zeit der Selbsttötungen und der Familiendramen ist und es macht mich zornig, dass in dieser Zeit mit grossem Eifer um die Gnade Gottes für diejenigen gebetet wird, die derselbe Gott offenbar ohne mit der Wimper zu zucken verhungern lässt. Es schockiert mich auch jedes Jahr aufs Neue, festzustellen, dass wir lastwagenkolonnenweise fühlende Kreaturen zu Fondue Chinoise, Filet Wellington und Weihnachtsgänsen verarbeiten, nur damit der Tradition und unseren überreizten Gaumen Genüge getan ist. Was übrig bleibt, wird von der Müllabfuhr abgeholt. Ja, auch ich bin sozusagen unter dem Weihnachtsbaum aufgewachsen. Auch ich habe «Oh du fröhliche» gesungen, sonntäglich herausgeputzt und bereits zum Paketberg schielend. Und auch wenn das ganze Weihnachtsgedöns jedes Jahr ein furchtbarer Stress war, der meine Eltern zuverlässig an den Rand des Nervenzusammenbruchs trieb (manchmal auch ein Stückchen darüber hinaus), muss ich zugeben, dass ich es geliebt habe. Nicht wegen dem Tannenbaum oder den Kerzen und schon gar nicht wegen dem Jesus. Auch nicht in erster Linie wegen den Geschenken, obwohl ich, wie jedes halbwegs intelligente Kind, nie ein Päckli abgelehnt habe. Nein, was mir so ausserordentlich an Weihnachten gefiel, war, dass man sich, nachdem der ärgste Stress vorbei, der obligate Krach durch und das gleichzeitig staubtrockene und trotzdem nicht ganz gare Filet im Teig am Verdauen war, hinsetzte und endlich einmal miteinander reden konnte. Es gelang nicht immer gleich gut, aber alle versuchten an diesem Tag, irgendwie Familie zu sein.



Weihnachten rückt die Familie zusammen. /

Und wenn es klappte, dann war es wirklich ein verdammt gutes Gefühl. Weihnachten heisst für mich deshalb heute vor allem, Familie zu sein. Familie nicht wie in verwandtschaftlicher Beziehung oder genetischer Ähnlichkeit, sondern wie in sich im Grossen und Ganzen akzeptiert zu fühlen. Sich reiben und sich trotzdem lieben. Sich anschreien und dann doch zusammenhalten. Sich unglaublich bescheuert zu finden, wenn es hart auf hart kommt aber doch füreinander da zu sein. Und seit wir Weihnachten weitgehend vom Kommerz und der religiös-sozialen Aufladung befreit haben, funktioniert das Fest besser denn je. Es wird dieses Jahr wohl ähnlich ablaufen wie das letzte, nämlich bei einem gemütlichen, ausgedehnten Brunch. Wir haben unsere eigenen Rituale: Ich werde mich darüber ärgern, dass mir die Rösti wieder nicht ganz so perfekt gelungen ist wie geplant, und man wird mir auch dieses Jahr wieder mehr oder weniger glaubhaft versichern, dass sie trotzdem lecker sei. Meine Nichte wird Nachschlag verlangen, bis ihr meine Schwester den Teller wegnimmt und irgendwann, kurz bevor uns die Bäuche platzen und kurz nachdem der letzte Pancake vertilgt wurde, werden wir uns aufmachen, um zusammen mit den Kleinen einen Zeichentrickfilm im Kino anzuschauen. Ja, im Kino! Grossleinwand! Popcorn! Letztes Jahr war es «Das Geheimnis der Feenflügel», und auch wenn das sicher nicht meine erste Filmwahl gewesen wäre (der Stichentscheid fiel durch meine heute sechsjährige Nichte), haben wir uns doch alle prächtig amüsiert. Natürlich bekommen die Kinder ein kleines Geschenk von meiner Partnerin und mir, natürlich kann es meine Mutter nicht sein lassen, allen ein Päckli mitzubringen, natürlich werden wir ihr wieder «das wäre doch wirklich nicht nötig gewesen!» sagen. Und später, gegen Abend, werden wir uns umarmen, uns gegenseitig eine gute Zeit wünschen und uns freuen, dass wir wieder einmal als Familie zusammengekommen sind. Obwohl bei uns kein mit chinesischem Lametta geschmückter Tannenbaum in der Wohnung steht und keine Plastikkrippe Made in Hongkong , obwohl wir weder die Geburt eines Herrn feiern noch zu seinen Ehren Lieder singen, obwohl wir also im Grunde genommen alles vermeiden, was gemeinhin unter «weihnächtlich» läuft, schaffen wir es wohl auch dieses Jahr wieder, miteinander einen schönen Tag zu verbringen. Genauso, wie wir das auch während des restlichen Jahres mehrmals tun. Weihnachten, so sagt man mir, sei als Fest der Liebe gedacht. Wenn ich nun meinen Nächsten meine Liebe dadurch ausdrücken kann, dass ich ihnen Spiegeleier brate, dann bin ich bekennender Weihnachts-Fan. Wenig ist mir derart gleichgültig, wie dass gleichzeitig ein paar schräge Vögel die Geburt ihres imaginären Freundes feiern. Den Spass gönne ich ihnen gerne und die Deutungshoheit über diesen Tag haben ihnen die Verkünder der modernen Religionen - namentlich Amazon, Pro7 oder Aldi - sowieso längst schon abgenommen. So gesehen habe ich als Atheist und Freidenker die Freude und die Freiheit, nicht nur einmal im Jahr Weihnachten feiern zu können, sondern immer dann, wenn ich es möchte und meine Familie hungrig ist. Und das ist sie eigentlich immer.

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