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Friedliche Pandas

China, das Land der Superlative. Die westlichen Medien, angefeuert durch chinesische Propaganda, veröffentlichen erstaunliche Zahlen. Besonders in der Nachrichten-Trockenheit des Sommers. Ihr news.ch-Korrespondent macht keine Ausnahme.

Peter Achten / Quelle: news.ch / Montag, 27. Juli 2015 / 07:11 h

China überholt (fast) alle. Allerdings gibt es Ausnahmen. Wie kürzlich «Renmin Ribao» (Volkszeitung), der offizielle Lautsprecher der Partei, festgestellt hat, betrug 2014 die Durchschnittsgrösse des chinesischen Mannes exakt 167,1 cm und der Frau 155,8 cm. Das sind seit 2004, klagt der Parteikommentator, beim Mann nur 0,4 cm mehr, bei der Frau immerhin 0,7 cm. Das ist noch nicht alles. Schlimm aus chinesischer Sicht ist die Tatsache, dass der nicht gerade beliebte, manchmal gehasste Durchschnitts-Japaner sage und schreibe 170,7 cm auf die Messlatte bringt. Der erfolgreiche, in China manchmal bewunderte Durchschnitts-Südkoreaner misst sogar stattliche 173,3 cm. Zum Vergleich: der Schweizer Mann hat ein Gardemass von 178 cm, die Frau - notabene im Zeitalter der Gleichberechtigung - 13 Zentimeter weniger. Wer je auch nur ein Semester Statistik studiert hat, weiss, dass bei Durchschnittszahlen Vorsicht geboten ist. Das Wichtige steht da, wie so oft auch anderswo im Leben, im Kleingedruckten. Dort wird China Trost gespendet. Im Norden nämlich und den wirtschaftlich boomenden Provinzen sind die Menschen deutlich grösser als im Landesdurchschnitt. Ihr Korrespondent mit einer Grösse von 174 cm bringt es beispielsweise in der nördlichen Provinz Shandong nicht mal auf den männlichen Durchschnitt von 175,4 cm, übertrifft aber das männliche Mittel der boomenden Südprovinz Guangdong von 169,8 cm, was wiederum deutlich über dem Landesdurchschnitt liegt. Die Europäer jedenfalls in Polen, Ungarn, Finnland und Holland übertreffen die Chinesen - und die Schweizer - mit 183 Zentimetern noch bei weitem, und das wird trotz allen andern chinesischen Superlativen noch eine Weile so bleiben. Alles klar? Nun, Zentimeter-Grösse ist ja nicht alles, auch das Gewicht zählt. Diese Zahlen, wie immer von der rührigen amtlichen Nachrichten-Agentur «Xinhua» (Neues China) aufdatiert, seien auf das nächste Nachrichten-Sommerloch im Jahre 2016 aufgespart. Vielleicht legen dann Chinesinnen und Chinesen wenn nicht Kilos so doch die entscheidenden Gramme zu, welche zum Ein- und Überholen der Japaner und Schweizer nötig sind. Schon der grosse Steuermann Mao Zedong wollte ja vor über fünfzig Jahren den grossen sozialistischen Bruder Sowjetunion sowie die westlichen Industriestaaten ein- und überholen. Es resultierte eine wirtschaftliche, soziale und politische Katastrophe. Seit der grosse Revolutionär und Reformer Deng Xiaoping vor 35 Jahren China Reform und Öffnung verordnet hat, wurde alles besser. Heute ist das Reich der Mitte zum Beispiel Export-Weltmeister, verfügt kaufkraftbereinigt über die weltgrösste Volkswirtschaft, ist das bevölkerungsreichste Land des Globus, hat nach eigenen Angaben die meisten Erfindungen (vom Papier über das Pulver bis hin zur Toilette mit Wasserspülung) der Weltgeschichte ersonnen, am meisten Wolkenkratzer (200 bis 632 Meter) gebaut, das längste Streckennetz für Hochgeschwindigkeitszüge oder hat mit 800 Millionen am meisten Handy-Nutzer der Welt. Die Liste könnte seitenweise verlängert werden. Nur noch dies: China ist derzeit definitiv noch nicht Fussball-Weltmeister. Das aber soll sich nach Überzeugung von Partei-, Militär- und Staatschef Xi Jinping bald ändern. Der überzeugte, in die Wolle rotgefärbte Fussballfan an der Parteispitze will zunächst die WM 2026 nach China holen und wenig später gar Fussballweltmeister werden. Das wird nicht einfach. Denn mein chinesischer Lieblingsclub FCB (FC Beijing Guo'an) kann meinem Schweizer Lieblingscluc FCB (FC Basel) noch längst nicht einmal den grünen Pausentee reichen. Aber Vorsicht, der Sepp auf dem Zürcher Sonnenberg weiss, wovon hier die Rede ist.



Chinesische Touristen beim Shopping in Marseille: Auch China wird verändert werden. /

Die Drohungen aus der Fan-Ostkurve des Pekinger Arbeiterstadions, nämlich Weltmeister zu werden, sollten ernst genommen werden. Die Schweizer Nati jedenfalls muss sich trotz sogenannten Kraftwürfeln, Zauberzwergen und dergleichen, warm anziehen. Weil mitten in der Ferienzeit zur Abrundung der chinesischen Superlative noch dies: China ist jetzt auch Reise-Weltmeister und hat damit 2010 zunächst Japan und dann 2013 Deutschland überholt. Im vergangenen Jahr sind nach amtlichen Zahlen 109 Millionen Chinesinnen und Chinesen ins Ausland gereist. Dabei haben sie 165 Milliarden US-Dollar ausgegeben. Das ist gegenüber dem Vorjahr ein satter Anstieg von 28 Prozent. Und in diesem Wachstumstempo soll es weitergehen. Dai Bin, Vorsitzender der Staatlichen Tourismus-Akademie in Peking, erwartet fürs Jahr 2020 rund 200 Millionen chinesische Touristen, die 250 Milliarden Dollar im Ausland liegen lassen werden. Die Regierung hat unter dem Slogarn «Sei ein friedlicher Panda!» sogar schon eine Kampagne lanciert, um den chinesischen Touristen im Ausland Manieren beizubringen. Die Zukunftsaussichten sind gut. Bislang besitzen nur fünf Prozent der 1,36 Milliarden Chinesinnen und Chinesen einen Pass. Ein solches Dokument zu bekommen, ist heute in der Regel kein Problem mehr. Etwas aufwändiger ist der bürokratische Hürdenlauf für ein Visum, aber nicht mehr so schikanös wie vor zehn, zwanzig Jahren. Nach der Niederschlagung des Protests der Studenten und Arbeiter auf dem Platz vor dem Tor des Himmlischen Friedens Tiananmen 1989 tönte es noch ganz anders. Menschenrechtler aber auch Regierungen in Europa und Amerika forderten das Recht auf freies Reisen. Zehn Jahr danach und zum Teil noch heute nehmen dieselben Befürworter des freien Reisens den Mund nicht mehr ganz so voll. Im Gegenteil. Zunächst wurden in den 1990er-Jahren die Visum-Bestimmungen in Europa und Amerika verschärft. Amtlich befürchtet wurde (auch in der Schweiz), dass viele Chinesinnen und Chinesen illegal in den Gastländern untertauchen.Das ist mit wenigen Ausnahmen nicht eingetroffen. Im Gegenteil: jene Chinesen die bleiben, machen das legal mit Kauf von Immobilien und Investitionen, also Geld. Im Gegensatz zu den Armuts-Migranten etwa aus Afrika oder dem Nahen Osten sind jene aus dem Reich der Mitte Wohlstands-Migranten . Partei und Regierung lassen die chinesischen Touristen gewähren. Das ist nicht selbstverständlich, zumal Fussballfan Xi mittlerweile beim Internet und den Medien - ausser im Sport natürlich - die Schraube angezogen hat.Noch vor zwei Jahren wurde in einem vertraulichen Papier der Parteileitung vor «falschen ideologischen Trends und Konzepten» gewarnt. Darunter fallen etwa der «Westliche Verfassungsstaat», «Bürgerbeteiligung», die «universellen Werte», «Neoliberalismus», die Prinzipien des «westlichen Journalismus», «historischer Nihilismus» oder die «Hinterfragung der chinesischen Reform- und Öffnungspolitik». Offensichtlich ist die Führung der Volksrepublik selbstsicherer geworden. Und lässt reisen. Für die Elite war der Westen schon immer attraktiv. Etwas maliziös könnte man sagen, auch Marx und Engels und erst recht die moderne Technik, die China zu dem machten, was es heute ist, stammen aus dem Westen. Schon Söhne des Reformers Deng Xiaoping haben an Eliteuniversitäten der USA studiert, und von Parteichef Xi Jinping ist bekannt, dass dessen Tochter in Harvard ihren Studien nachgegangen ist. Dieser Austausch und diese Öffnung werden gewiss Folgen haben. Dai Bin, Chef der staatlichen Tourismus-Akademie in Peking, formulierte das in Bezug auf Japan im deutschen Wochenmagazin «Spiegel» so:« Der Tourismus der Japaner hat Japan verändert, Der chinesische Tourismus wird die Welt verändern». Was Dai Bin vergessen hat: der chinesische Tourismus wird auch China verändern. Und zwar gründlich.

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