In einem schattigen Innenhof in Jerusalem sitzen Familien aus unterschiedlichen Stadtteilen um einen Tisch. Vor ihnen harrt eine Schüssel Hummus, daneben frisches Fladenbrot und eine Schale mit granatapfelbestreutem Fattoush-Salat. Solche Szenen sind keine Seltenheit in der Levante, einer Region, die trotz politischer Spannungen eine erstaunliche kulinarische Einheit lebt.
fest / Quelle: restaurant.ch / Samstag, 15. März 2025 / 00:17 h
Die Küche des Nahen Ostens, geprägt von Jahrtausenden des Austauschs, zeigt, wie gemeinsame Mahlzeiten kulturelle Gräben überwinden können. Dieser Text erkundet, wie Olivenöl, Kräuter und handwerkliche Rezepte nicht nur Geschmack, sondern auch Dialog stiften - und warum der Esstisch bis heute ein Ort der Begegnung bleibt.
Eine kulinarische Zeitreise
Die Levante, ein historischer Raum zwischen Mittelmeer und Arabischer Halbinsel, umfasst heute Länder wie den Libanon, Syrien, Jordanien, Israel und Palästina. Ihre Küche ist ein lebendiges Archiv: Jedes Gericht erzählt von Handelsrouten, Migration und dem Einfluss früher Hochkulturen. Die Phönizier brachten Olivenbäume in die Region, die Osmanen führten Gewürze wie Kreuzkümmel ein, und beduinische Traditionen prägten die Kunst des langsamen Garens. Selbst einfache Zutaten wie Kichererbsen oder Bulgur wurden durch kreative Zubereitung zu Grundpfeilern einer identitätsstiftenden Küche.
Doch was die Levante-Küche wirklich auszeichnet, ist ihre Fähigkeit, Unterschiede zu vereinen. Während politische Grenzen oft Konflikte symbolisieren, überschreiten Rezepte sie mühelos. Ein libanesisches Tabouleh unterscheidet sich kaum von seiner palästinensischen Variante; israelische und syrische Köche verwenden dieselben Techniken, um Auberginencreme zuzubereiten. Diese kulinarische Verwandtschaft ist kein Zufall, sondern Resultat einer jahrhundertealten Nachbarschaft.
Es bestehen auch Ähnlichkeiten zur ägyptischen, nordafrikanischen und osmanischen Küche. Sogar die israelische Küche wird als eine Mischung aus mediterranen, europäischen und orientalischen Einflüssen betrachtet. Die levantinische Küche ist somit keine monolithische Einheit, sondern eine lebendige Verschmelzung kulinarischer Traditionen, die die Geschichte der Region als Handels- und Kulturaustauschzentrum widerspiegelt. Die strategische Lage der Levante ermöglichte einen regen Austausch mit verschiedenen Zivilisationen. Jede dieser Kulturen brachte neue Zutaten, Kochmethoden und kulinarische Ideen ein. Die kontinuierliche Interaktion und Integration dieser Einflüsse führten zur einzigartigen und vielschichtigen Natur der levantinischen Küche.
Gemeinsames Erbe über Grenzen hinweg
Trotz der modernen politischen Teilung der Levante bleiben die grundlegenden kulinarischen Traditionen in der gesamten Region weitgehend gleich und wirken als vereinigende Kraft. Obwohl heute in mehrere Länder unterteilt, teilt die Levante dieselben kulinarischen Traditionen, die bis ins
Osmanische Reich zurückreichen. Viele heute genossene Gerichte wurden bereits von Römern und Phöniziern geschätzt. Dieses gemeinsame Erbe überwindet politische Grenzen und gibt den Menschen der Levante ein Gefühl der Einheit und gemeinsamen Identität.
Zutaten, die verbinden
Die Basis der Levante-Küche ist simpel und dennoch vielfältig:
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Getreide wie Bulgur und Couscous als Grundnahrungsmittel,
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Hülsenfrüchte in Form von Hummus oder Linseneintöpfen,
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Frisches Gemüse - von Auberginen bis Granatäpfeln -,
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Kräuter wie Petersilie, Minze und Koriander,
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Gewürze wie Sumach, Za'atar und Tahini als geschmackliche Signatur.
Durch die Kombination dieser Elemente entstehen Gerichte, die sowohl nahrhaft alslich ausbalanciert sind. Die Kunst liegt im Detail: So wird Hummus im Libanon oft mit etwas mehr Zitrone abgeschmeckt, während die palästinensische Version cremiger sein soll.
Globalisierung und Urbanisierung verändern auch die Levante-Küche. /


Doch solche Nuancen sind kein Anlass für Konkurrenz, sondern bereichern das kulinarische Erbe.
Hauptzutaten und ihre Ursprünge/Einflüsse in der levantinischen Küche
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Zutat |
Ursprung/Einfluss |
Häufige Verwendung in der levantinischen Küche |
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Kichererbsen |
Antike Levante |
Hummus, Falafel, Eintöpfe, Salate |
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Olivenöl |
Phönizischer/römischer Einfluss |
Wird in fast allen Gerichten verwendet: Salate, Dips, Kochen |
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Zitronensaft |
Wahrscheinlich über Handelsrouten eingeführt |
Wird für Dressings, Marinaden und zur Zugabe eines würzigen Geschmacks zu vielen Gerichten verwendet |
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Tahini |
Antiker Naher Osten |
Hauptbestandteil von Hummus und Baba Ghanoush, wird in Saucen und Dressings verwendet |
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Aubergine |
Südasien, später im Nahen Osten übernommen |
Baba Ghanoush, Mutabal, Maqluba, Eintöpfe |
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Tomaten |
Ursprünglich aus der Neuen Welt, in der Levante weit verbreitet |
Salate (Tabbouleh, Fattoush), Eintöpfe, Saucen |
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Petersilie |
Mittelmeerregion |
Wird stark in Salaten wie Tabbouleh verwendet, als Garnitur |
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Minze |
Mittelmeerregion |
Wird in Salaten, Getränken und als Aromastoff in verschiedenen Gerichten verwendet |
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Bulgurweizen |
Antiker Naher Osten |
Hauptbestandteil von Tabbouleh, wird in Kibbeh und anderen Gerichten verwendet |
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Sumach |
Heimisch im Nahen Osten |
Wird als Gewürz in Salaten (Fattoush, Musakhan), Marinaden und Dips verwendet, verleiht einen würzigen Geschmack |
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Za'atar |
Levante |
Gewürzmischung, die auf Brot (Man'ouche), Fleisch und Gemüse verwendet wird; bezieht sich auch auf ein bestimmtes Kraut |
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Lamm |
Im Nahen Osten domestiziert |
Hauptprotein in vielen traditionellen Gerichten wie Mansaf, Kebabs und Eintöpfen |
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Pitabrot |
Antiker Naher Osten |
Wird zum Dippen, für Sandwiches (Shawarma) und als Beilage zu den meisten Mahlzeiten verwendet |
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Joghurt |
Ursprünge im Nahen Osten und Zentralasien |
Wird in Dips (Labneh), Saucen (für Mansaf) und als kühlendes Element verwendet |
Der Tisch als sozialer Knotenpunkt
In der Levante-Kultur ist Essen nie nur Nahrungsaufnahme. Es ist ein Akt der Gastfreundschaft, bei dem Fremde zu Freunden werden. Die Tradition des Mezze - einer Abfolge kleiner Gerichte, die gemeinsam geteilt werden - spiegelt diesen Geist wider. «Wenn wir Mezze servieren, geht es nicht ums Sattwerden», erklärt eine libanesische Köchin aus Beirut, die seit Jahren Gäste in ihrem Restaurant empfängt.
Das Konzept der Mezze betont soziale Interaktion und Verbindung. Mezze sind eine Auswahl warmer und kalter Gerichte, die mit Brot serviert werden, ein «bewegliches Fest kleiner Gerichte zum Geniessen», ideal für gesellige Zusammenkünfte. Das Teilen von Speisen ist in der Levante üblich und Mahlzeiten sind Momente der Verbindung, des Lachens und der Tradition.
Dieser Ansatz schafft Räume für Begegnungen, die abseits des Esstisches schwer vorstellbar wären. In Haifa etwa betreiben jüdische und arabische Familien gemeinsam Restaurants, in denen Rezepte aus beiden Traditionen fusionieren. In Jordanien laden Beduinenstämme Touristen in ihre Zelte ein, um über dem Feuer gebackenes Brot mit salzigem Joghurt zu teilen. Selbst in Flüchtlingscamps im Libanon werden Kochworkshops organisiert, in denen syrische und libanesische Frauen voneinander lernen.
Gastfreundschaft im Herzen: Essen als kultureller Eckpfeiler
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Den Gast willkommen heissen: Grosszügigkeit als Tradition
Die levantinische Kultur ist tief in der Gastfreundschaft verwurzelt, wobei das Anbieten von Speisen ein zentraler Ausdruck von Willkommen und Respekt ist. Gäste werden oft mit einer reichhaltigen Auswahl an Gerichten begrüsst.
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Familie und Essen: Eine heilige Verbindung
Familienmahlzeiten spielen eine wichtige Rolle bei der Stärkung der Familienbande und der Weitergabe des kulturellen Erbes. Feste betonen oft das gemeinsame Essen.
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«Sahtain»: Ein Segen am Tisch
Der Ausdruck «Sahtain» (zu Ihrer Gesundheit) unterstreicht die Rolle des Essens bei der Vermittlung von Fürsorge und Wohlwollen.
Moderne Herausforderungen, alte Werte
Globalisierung und Urbanisierung verändern auch die Levante-Küche. Fast-Food-Ketten und hippes
Street Food drängen in die Städte, junge Generationen haben weniger Zeit zum Kochen. Doch gleichzeitig entstehen neue Initiativen: In Tel Aviv eröffnen «Supper Clubs», in denen Gastgeber Fremde zu privat organisierten Mezze-Abenden einladen. Im Libanon dokumentieren NGOs traditionelle Rezepte älterer Frauen, um sie vor dem Vergessen zu bewahren.
Die Küche der Levante beweist, dass kulinarische Traditionen mehr sind als Nostalgie. Sie sind ein Werkzeug, um Gemeinschaft zu stiften - selbst dort, wo Sprache, Politik oder Religion trennen. Solange Menschen zusammen sitzen, um Brot zu brechen, bleibt Raum für Dialog. Vielleicht liegt in dieser Einfachheit die grösste Stärke: Kein aufwendiges Protokoll ist nötig, um Brücken zu bauen. Nur ein Tisch, ein paar Schüsseln und die Bereitschaft, zuzugreifen.