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Harte Landung für deutsche Himmelsstürmer

Drei Wochen lang war das Team von Joachim Löw von den deutschen Medien hochgejubelt worden. Mit dem Halbfinal-Out gegen Italien schlug die Stimmung um im Land des dreifachen Weltmeisters. Für die DFB-Auswahl hagelte es Kritik.

bg / Quelle: Si / Freitag, 29. Juni 2012 / 16:00 h

«Total verplant», titelte die «Süddeutsche Zeitung» nach der 1:2-Niederlage in Warschau. Tagelang war Bundestrainer Jogi Löw als der gefeiert worden, der alles richtig macht. Für sein Goldhändchen bei der Wahl der Aufstellung wurde er gerühmt. Nun muss der Coach mit Schweizer Vergangenheit lesen, dass der etwas gar selbstsichere Selektionär seine Mannschaft mit seinen Umstellungen womöglich verunsichert und überfordert habe. Seine Personalentscheide für das Duell mit Italien stiessen generell auf wenig Verständnis. Die nächste Überraschung mit der Nomination von Toni Kroos wurde als Flop eingestuft. Löw hatte mit dieser Massnahme das Zentrum stärken wollen, um die Kreise von Andrea Pirlo einzudämmen. Der rechte Flügel blieb dadurch öfters verwaist. Der Plan ging schief. Pirlo konnte nach Belieben schalten und walten. Die deutschen Reporter wunderten sich, dass ihre Equipe die Mitte suchte, statt allfällige italienische Schwächen in den Couloirs aufzudecken. Mario Balotelli und Co. konnten allzu sehr ihre Muskeln spielen lassen.

Note 6 für «Poldi», «Schweini» und Gomez

Den in die Startelf zurückgekehrten Mario Gomez und Lukas Podolski wurde ebenso ein miserables Zeugnis ausgestellt wie Bastian Schweinsteiger, um den es aus gesundheitlichen Gründen Fragezeichen gegeben hatte. Das Boulevard-Blatt «Bild» strafte alle aus diesem Trio mit der Schulnote 6 (welche in der Schweiz der 1 entspricht) ab. Am besten bei dieser Beurteilung schnitt noch Marco Reus ab, der als einziger aus seinem Team eine 3 erhielt. Der zukünftige Dortmunder wurde in der Pause für Podolski eingewechselt. «Prinz Poldi» war äusserst blass geblieben. Und sein Verhalten vor dem 0:2 irritierte. Weil er seinen defensiven Pflichten nicht nachgekommen war und viel zu nachlässig abgesichert hatte. Die Kritiker warfen weiter ein, Schweinsteiger sei anzumerken gewesen, dass er nach seinen Sprunggelenk-Problemen Defizite im Fitness-Bereich aufweise und dass er deshalb gar nicht hätte auflaufen dürfen. Im Zusammenhang mit Gomez war von einem «Einbruch im späteren Turnierverlauf» die Rede. Wobei gesagt werden muss, dass er gegen Italien vergeblich auf brauchbare Bälle wartete. «Wir haben viermal auf die Fresse gekriegt», fasste Gomez den Frust der «Bayern-Fraktion» nach dem Abpfiff in Worte - in Anlehnung an die Pleiten der Münchner in Bundesliga, DFB-Pokal und Champions League. Auch für ihn war das Arbeitspensum bereits bei Halbzeit beendet. Manche Beobachter schlossen daraus, dass Löw nach der ersten Hälfte seine Fehler immerhin eingesehen und korrigiert habe. Der Coach seinerseits verteidigte seine Aufstellung hinterher: «Im Nachhinein kann man immer sagen, man hätte dieses und jenes anders machen können. Mario Gomez beispielsweise hat in der Vorrunde drei Tore geschossen, gut trainiert und war nach der Partie gegen Griechenland sehr motiviert, weil er nicht von Beginn an gespielt hatte.» Angesprochen auf die Ursachen für die Niederlage meinte Löw: «Nach dem vermeidbaren ersten Gegentor ist unser Spiel in Unordnung geraten.



Mario Gomez bekam ein miserables Zeugnis für seine Leistung gegen Italien. /

Wir waren zweimal in der Abwehr unaufmerksam, das ist brutal bestraft worden.» Es sei schwierig, gegen Italien eine Wende zu schaffen, wenn man gegen diesen defensiv soliden Gegner mal mit zwei Treffern im Rückstand liege.

Beckenbauers Meinung

Der Fussball-Kaiser Franz Beckenbauer beschäftigte sich in seiner «Bild»-Kolumne weniger mit Löws Taktik als vielmehr mit der Einstellung der Spieler: «Die ersten 45 Minuten waren tief enttäuschend. Das war nicht die wahre deutsche Elf dieser EM. Sie wirkte phasenweise regelrecht leblos. Wir haben zu viel Respekt gehabt! Das Gerede vom Italien-Fluch scheint die Spieler etwas gelähmt zu haben.» Er habe geglaubt, Deutschland sei nach 16-jähriger Durststrecke wieder reif für einen grossen Titel. Vor dem Halbfinal habe er keine Bedenken gehabt. «Irgendetwas fehlt uns noch», fuhr Beckenbauer fort. Welches Quäntchen Schwarz-rot-gold benötigt, um bald den letzten Schritt zu einem Titelgewinn zu machen, liess er offen. Wahrscheinlich ging dieser DFB-Auswahl doch eine entscheidende Prise Erfahrung ab. Wie ungeschickt sich das junge Innenverteidiger-Duo Hummels/Badstuber beim 0:1 anstellte, löste Stirnrunzeln aus. Andere Stimmen pochten darauf, dass diese deutsche Mannschaft zu brav sei, dass ihr ein Raubein gut anstehen würde. Die mangelnde Entschlossenheit und Leidenschaft habe man schon beim Singen der Nationalhymnen registrieren können.

«Das Halbfinale ist kein Dreck»

Ikone Beckenbauer verpasste es bei allem Bedauern nicht, Jogis Jungs Trost zu spenden. «Eines sollte man nicht vergessen. Das Halbfinale ist kein Dreck. Andere grosse Fussballnationen wie England, Frankreich, Holland hätten es gerne erreicht.» In den Stunden der Tränen ging nicht unter, dass den Deutschen mit der aktuellen Generation nicht Angst und Bange werden muss. Das Durchschnittsalter ist tief (24,4). Viele Spieler sind noch längst nicht am Zenit angelangt. Die Entwicklung ist im Fluss. Der Kern wird zusammenbleiben. Sogar Team-Senior Miroslav Klose hat angekündigt, er wolle bis zur WM 2014 weitermachen. Ob Löw ihn noch auf der Rechnung hat oder wie Michael Ballack aussortiert, wird sich weisen. «Es gibt jetzt keinen Grund, alles in Frage zu stellen», sagte jedenfalls Löw unmittelbar nach dem EM-Out, «wir werden uns neue Ziele setzen». In der nächsten WM-Qualifikation muss sich Deutschland u.a. gegen Schweden, Irland und Marcel Kollers Österreich behaupten. Löw verweist darauf, dass auch Spanien lange darauf habe warten müssen, bis es 2008 wieder einmal mit einem Titelgewinn geklappt habe. Man könne Trophäen nicht herbeireden. In den Halbfinals von bedeutenden Endrunden sei die Luft halt sehr dünn. Seine Himmelsstürmer schweben nicht mehr auf Wolke sieben. Sie sind inzwischen in Frankfurt gelandet.

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