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+++ Minutenprotokoll +++ Schwarzer Mittwoch für die Schweiz

Damit hatte so niemand gerechnet: Am Ende eines dramatischen Tages steht in der Schweiz kaum mehr ein Stein auf dem anderen, die Zukunft der kleinen Alpendemokratie ist völlig offen. Hier die Ereignisse im Überblick.

Quelle: Nebelspalter / Mittwoch, 12. Februar 2014 / 14:51 h

13:15 Uhr Der Bundesrat tritt im Anschluss an seine wöchentliche Sitzung vor die versammelte Bundeshauspresse. Erwartet worden waren erste Statements zur Strategie, mit der man nun an die Europäische Union treten wolle, nachdem das Schweizer Volk am 9. Februar in einer Volksabstimmung mit äusserst knappem Mehr von 50.3% die SVP-Initiative gegen Masseneinwanderung angenommen hatte, die ein Ende der Personenfreizügigkeit verlangt.

Rücktritt des Bundesrates

13:21 Bundesrat Didier Burkhalter (fdp) kündigt nach einigen einleitenden Worten den sofortigen Rücktritt aller Bundesräte an - mit Ausnahme von SVP-Magistrat Ueli Maurer. «Der Entscheid ist uns nicht leicht gefallen», so der scheidende Bundespräsident, «doch es ist das einzig richtige für das Land. Man habe nach anfänglichen Beteuerungen, den Weckruf der Bevölkerung verstanden zu haben und den Volksauftrag umgehend umsetzen zu wollen, eingesehen, dass es falsch wäre, eine Regierung, die so massiv am Volkswillen vorbei politisiert habe, das Land in die Zukunft führen zu lassen.»

«Wir sind uns der historischen Einmaligkeit dieses Schrittes sehr bewusst», äussert sich ebenfalls Simonetta Sommaruga (sp) zum kollektiven Rücktritt, doch sei es nach dem Urnengang vom Sonntag zwingend notwendig, dass die Geschicke des Landes von Leuten weiterbestimmt werden, die mit voller Überzeugung für den Weg einstehen können, für den sich der Souverän am Sonntag entschieden hat.

Auch Doris Leuthard (cvp) meldet sich zu Wort: «Bereits die ersten 48 Stunden nach dem Volksentscheid, insbesondere die postwendende Blockade der EU zum Stromabkommen und zur Forschungszusammenarbeit, habe dem Bundesrat vor Augen geführt, dass ihm schlicht die Energie und Motivation fehle, weiterzumachen. [...] Wir machen jenen Kräften Platz, die vielleicht schon immer besser gewusst haben, wie man regieren soll.» Jetzt will offensichtlich auch Bundesrat Schneider-Amman ans Mikrofon, wird aber von seinen Amtskollegen - vermutlich aus rhetorischen Gründen - daran gehindert.

13:48 Ein sichtlich nervöser Bundesrat Ueli Maurer (svp) übernimmt nun das Wort, während die restlichen Magistraten ohne weitere Kommentare im Blitzlichtgewitter den Saal verlassen. Das zurücktretende Kollegium habe ihn beauftragt, interimistisch die Amtsgeschäfte weiterzuführen. Das Ziel sei es, in der kommenden Frühjahrssession die sechs vakanten Bundesratssitze neu zu bestellen und auf der Basis der realen Mehrheitsverhältnisse eine Regierung zu formen. «In den Wochen bis zur Bundesratswahl wird mir unter anderem 'Weltwoche'-Chefredaktor Roger Köppel als persönlicher Mitarbeiter zur Seite stehen, der in deutschen Medien als einmalig eloquenter, eleganter, kampflustiger und konservativer Rhetor gelobt wurde», so Maurer. Damit hat auch Maurer fürs erste alles gesagt, mehr Informationen gäbe es erst, nachdem er sich zu ersten Konsultationen mit seinem Stab zurückgezogen habe. Offen bleibt, wer neben Köppel diesem Stab angehören soll.

14:00 Die Meldung vom Bundesrats-Rücktritt steht weltweit auf allen News-Portalen ganz oben. «Schweizer Regierung überlässt das Volk sich selbst» titelt 'Spiegel online'. «La Suisse deconseillée» kalauert  'Le Monde' in Frankreich.  «Bald mehr Löcher als Käse: Die Schweiz ist führungslos» witzelt die Boulevardzeitung 'Bild'.

14:18 Bisher sind noch keine offiziellen Reaktionen aus EU-Ländern eingegangen. Die «Washington Post» vermeldet jedoch, Präsident Barack Obama habe sich gegenüber seinem Staatsgast François Hollande mit folgender Wertung zum zurücktretenden Bundesrat geäussert: «What a huddle of douches» (Was für ein Haufen Weicheier).

14:26 Nun folgt eine erste Reaktion aus Berlin. Angela Merkel äussert sich am Rande der Eröffnung der Berliner Schmuckmesse Schlandkette 2014: «Wir verfolgen die aktuelle Entwicklung in der Schweiz sehr aufmerksam und nehmen den Regierungsrücktritt mit Bedauern zur Kenntnis. Das Volk ist die Basis jeder Demokratie, wir hoffen aber, möglichst bald wieder persönliche Ansprechpartner zu haben. Wir können schliesslich nicht mit allen acht Millionen Eidgenossen einzeln verhandeln.»

14:32 Applaus von unerfreulicher Seite: «Front national»-Vorsitzende Marine Le Pen begrüsst den Schritt des Schweizer Bundesrates und fordert das Gleiche von sämtlichen undemokratischen, europhilen Regierungen Europas.

14:43 Angela Merkels Äusserung über die acht Millionen Verhandlungspartner dürfte in der Schweiz einen Shitstorm auslösen.



Der 12. Februar 2014 wird als Zäsur in die Schweizer Geschichte eingehen. /

Die vor 15 Minuten gegründete Facebook-Gruppe «Acht Millionen Stinkefinger für Mutti» hat bereits 512 Fans.

14:50 Während sich auf dem Berner Bundesplatz tumultartige Szenen abspielen, Hunderte Journalisten auf mehr Informationen hoffen und sich schätzungsweise 3000 Bürgerinnen und Bürger spontan auf dem Platz versammelt haben, macht die Meldung die Runde, die SVP werde sich per Videobotschaft zur aktuellen Entwicklung äussern.

15:05 Auf Twitter finden sich unter dem Hashtag #Swissolation bereits über 400'000 Tweets.

SVP-Spitze zieht nach

15:15 Die SVP-Parteispitze tritt geschlossen zurück! In einer Videobotschaft, die mit der Veröffentlichung punkt 15:15 Uhr an das Jahr der Schlacht bei Marignano erinnert, kündigen Toni Brunner und Christoph Blocher mit bleichen Gesichtern den Rücktritt der gesamten Parteileitung an. Blocher wörtlich: «Es ist Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen: Wir haben die Komplexität der Sache unterschätzt. [...] Die Initiative war primär als Wahlkampf-Instrument im Hinblick auf 2015 gedacht. Mit einer Annahme der Initiative haben wir selbst nicht gerechnet. Wir sehen uns leider ausserstande, den Leuten, die uns gefolgt sind, einen Weg aus der aktuellen Situation aufzuzeigen. [...] Deshalb legen wir unsere Ämter zur Disposition.» Danach übernimmt Toni Brunner das Wort (im Video ab ca. 4:37): «Wir haben einen Seich gemacht, und bitten dafür um Entschuldigung. Es ist nicht gut, wenn man mit demokratischen Volksrechten Denkzettelpolitik und Wahlkampf betreibt, anstatt lösungsorientierte Sachpolitik anzustreben. [...] Wir bitten auch unsere Anhänger, dies in künftigen Abstimmungen zu beherzigen. [...] Wir hoffen auf eine juristische Möglichkeit, den Urnengang wiederholen zu lassen - hoffentlich mit anderem Ausgang.»

15:30 Die Konfusion scheint grenzenlos. In zahlreichen Innenstädten sind die Handynetze zusammengebrochen, vermutlich durch die Zahl der Zugriffe auf das SVP-Video und den Live-Stream aus dem Bundeshaus.

15:38 Die Kantone der Romandie kündigen auf den frühen Abend eine gemeinsame Medienkonferenz in Genf an.

16:00 Nun lässt auch Economiesuisse-Präsident Heinz Karrer über ein Mediencommuniqué seinen Rücktritt verbreiten. Karrer war nicht einmal vier Monate Präsident des Wirtschaftsdachverbandes. Die stündlich aktualisierte Liste der im Verlauf des Nachmittags und Abends zurückgetretenen Bundesräte, Parlamentarier, Wirtschaftsführern, Verbandspräsidenten und Gewerkschaftlern finden Sie hier.

Nun handelt die Romandie 

17:30
Paukenschlag in Genf: Die Westschweizer Kantone beabsichtigen eine Sonderzone zu gründen. «Es geht weder um eine Sezession noch um eine Zweistaatenlösung, sondern um ein mit Hongkong vergleichbaren Modell mit zwei Systemen», betont der Waadtländer Staatsrat Pierre-Yves Maillard. Demnach würde in den Westschweizer Kantonen und den vier Deutschschweizer Grossstädten Zürich, Basel, Bern und Winterthur die Personenfreizügigkeit aufrechterhalten, während «die deutschsprachigen, ländlichen Kantone freie Hand haben, ihren Dichtestress abzubauen und sich in ihrer geliebten, absoluten Volkssouveränität zu suhlen».

17:45 Ab sofort sind auf www.progresuisse.ch detailliertere Informationen zur geplanten liberalen Sonderzone abrufbar. Ein Kernelement des Vorhabens ist offenbar die Einrichtung zweier separater Finanzausgleiche, damit würden die strukturschwachen, ländlichen Gebiete vom Subventionstopf der Wirtschaftszentren abgeschnitten. Die Bevölkerung beider Zonen soll drei Jahre Zeit haben, je nach persönlicher Vorliebe in die Progrésuisse oder in die «alte Eidgenossenschaft» zu übersiedeln, danach soll die Binnenmigration kontingentiert werden.

18:00 Zürichs Stadtpräsidentin Corinne Mauch bekundet im «Talk kläglich» auf TeleZüri Interesse an einem Beitritt zur geplanten Sonderzone Progrésuisse, und verweist darauf, dass die Stadt, die ja von der heilen Geranien-Schweiz umgeben ist, notfalls von den liberalen Partnern auch via Luftbrücke versorgt werden könne, «das hat ja damals in Berlin auch geklappt.»

19:00 Bis auf diese Zeitschrift haben offensichtlich alle Medien die Berichterstattung über die turbulenten Ereignisse des Tages eingestellt und sogar aus ihren Portalen gelöscht. Wir haben deshalb sämtliche Links in diesem Liveticker inaktiv gesetzt und versuchen derzeit abzuklären, weshalb die ganze restliche Medienlandschaft die epochalen Schlagzeilen zu unterschlagen versucht.

+++ Mehr folgt in Kürze +++ Marco Ratschiller, mit Material von nbs/sat/ire


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