von Regula Stämpfli / Mittwoch, 21. Juli 2010
Auf meinen Schweiz-Besuchen erinnere ich mich immer wieder, weshalb ich ausgewandert bin. Nicht am ersten Tag. Nein. Da bin ich noch völlig überwältigt von der unendlichen Naturschönheit meines Heimatlandes und beginne sogar zu jodeln.
Nicht am zweiten Tag. Nein. Denn da punkten Migros und Coop mit längst vergessenem Zwieback, Haselnussjoghurts, mein Lieblingsbeck mit frischgebackenem Ruchbrot, der Metzger mit den besten Würsten. Doch spätestens am dritten Tag ist es wieder soweit.
Da begegnet mir sicher einer dieser kleinkrämerischen, neidischen, kurzgewachsenen Besserwisser. Einer, der mir, ohne sich zu schämen, von unten nach oben, knapp auf Busenhöhe nörgelt: „Hä, im Fernsehen sahen Sie aber viel besser aus.“ Oder eine, die mir, ohne sich zu schämen, wieder von unten nach oben, wieder knapp auf Busenhöhe nuschelt: „Eh also! Hätten eigentlich zwei Kinder nicht auch gereicht?“ Oder einer, der meiner wunderbaren, heissgeliebten und weisen Mama vorschreibt, dass sie in der Hitze in ihrem Alter (!) keine Glacé mehr auf der Strasse schlecken sollte.
Genauso besserwisserisch, kleinkrämerisch und von unten nach oben, knapp auf Brusthöhe von Barroso (und auch der ist auch schon unendlich klein), benahm sich die Bundespräsidentin Doris Leuthard auf ihrem letzten brüsseler Besuch. „Nänänä!“ meinte sie während der anschliessenden Pressekonferenz. „Die Schweiz erfüllt die Maastricht-Kriterien, sollten sie noch existieren.“ Echt. Peinlich.
Klar erfüllt die Schweiz alle Maastricht-Kriterien! Sie hat ja auch keinen Cent für a) für die Wiedervereinigung Deutschlands, b) die Demokratisierung des gesamten osteuropäischen Raumes und c) für die finanzielle Stabilisierung der Eurozone ausgegeben. Die Kohäsionsmilliarde war kein Beitrag, sondern lediglich das billigste aller Eintrittstickets in einen der grössten, stabilsten und demokratischsten Binnenmärkte dieser Welt.
Doris Leuthard benahm sich in Brüssel wie die reiche Tante in unserer Familie, die – zynisch lächelnd - auf das Bedauern meiner Mutter, sich mit ihrer fünfköpfigen Familie und einem arbeitslosen Ehemann den Besuch eines Restaurants nicht leisten zu können, meinte: Wenn Du so wie ich haushalten würdest (kein Mann, keine Kinder, vollerwerbstätig), hättest Du all diese Probleme nicht. Selber schuld!
Bundespräsidentin Leuthard kann froh sein, dass der Kommissionspräsident Barroso leider noch peinlicher ist. So fällt ihr zynisches Besserwissergehabe in Brüssel nicht wirklich auf. Bundespräsidentin Leuthard kann auch froh sein, dass viele der skrupellosen Eurokraten ihr Geld schon längst auf Schweizer Banken verschoben und versteckt haben. Nur deshalb konnte sich nämlich die Schweiz nicht nur Rosinen aus dem EU-Kuchen, sondern mit den Bilateralen eigentlich das fetteste Stück sichern. Bundespräsidentin Leuthard kann froh sein, dass sich in diversen Mitgliedstaaten der EU wie Ungarn, Slowakei, den Niederlanden, Italien etc. rechtspopulistische Antieuropäer rumtreiben, welche die Schweiz allein deshalb lieben, weil sie ihnen als lebendiger Beweis monetär erfolgreicher, antieuropäischer, antidemokratischer und egoistischer Prahlerei als Vorbild dient. Doris Leuthard kann froh sein, dass der rechtskonservative Barroso sich ebensowenig wie die schweizerische Bundespräsidentin wirklich um europäische Demokratie, Chancengleichheit, Fairness, Gerechtigkeit, Verteilung, Partizipation etc. bemüht. Wenn Sie lange genug auf das Foto der Pressekonferenz in Brüssel gucken, sehen Sie vielleicht in den Augen Leuthards Schweizer Franken und in den Augen Barrosos Gold, Dollarnoten und ein paar Euros tanzen.
Die Bundespräsidentin kann nach diesem brüsseler Besuch (wofür war das Ganze übrigens?) nicht nur froh, sondern eigentlich stolz sein. Darauf, einem Land vorstehen zu können, das mit sämtlichen Tricks allein die Sicherung der eigenen Vorteile durchbringt. Sie darf einem Land dienen, welches alles besser weiss, selber aber nie etwas Besseres tut. Sie repräsentiert ein Land, das sich zu einem grossen Teil dank der dreckigsten und hinterhältigsten Politik und Erwirtschaftung anderer Länder monetär gesund und munter präsentiert. Ja. Doris Leuthard darf stolz darauf sein. Vor allem weil ihr Land sich in dieser fehlgeleiteten Politik (Moneten für eine kleine Minderheit statt Demokratisierung für die moderne Massengesellschaft) in nichts von der EU unterscheidet.