Regula Stämpfli / Mittwoch, 28. Juli 2010
Die «Tagi-Online-Redaktion» bewies letzte Woche wieder einmal den Reflektionsgrad einer Topfpflanze. Unter dem Titel «Mutige Werbefotos von Sarah Meier» wurden 12 Stripreproduktionen der Eiskunstläuferin inszeniert. Nichts gegen die schön gemachten Bilder, im Gegenteil. Doch mit Journalismus hatte der Bericht nichts zu tun.
Jedes Nacktbild mit Nike-Schuhen wurde mit Sätzen wie: «Die Sohle des Nike Free ist durch seine Längs- und Querschnitte so beweglich wie der nackte Fuss und garantiert trotzdem Schutz und maximalen Komfort im Alltag: Ein ideales Trainingsgerät» beschriftet. Mein Lieblingsbild dazu ist Andy Hungers Geburtskanalperspektive mit geschlossenen Beinen und einer lasziv blinzelnden, bodenliegenden Sarah Meier mit dem Kommentar: «Das sieht Sarah Meier auch so».
Was die «TagesAnzeiger-Online» Redaktion als journalistischen Bericht verkaufte, war eins zu eins die Nike-Werbekampagne. Nun fragt sich, ob Tamedia für die reproduzierte Nike-Werbung auch entsprechende Werbegelder kassierte. Doch wahrscheinlicher ist, dass diese grobe Verballhornung jeder journalistischen Ethik gratis passierte. Was tun? Aufgrund juristischer Bestimmungen darf ich meinen Tipp nicht abgeben. Hier nur soviel: Geld gebe ich nur noch für Journalismus, aber sicher nicht mehr für Werbeplattformen aus.
Falls Sie mir jetzt das Argument «Aber das machen doch alle» an den Kopf, respektive zwischen die Tasten werfen, liegen Sie völlig daneben. Denn nur weil etwas so ist wie es ist, bedeutet dies noch nicht, dass es auch gut ist, so wie es ist. Denn neben der realsatirischen Werbereproduktion eines sogenannten Leitmediums schreit die mutlose Inszenierung einer nackten Sportlerin nach kritischen Fragen und ebenso kritischen Antworten.
Ganze zehn Prozent der News sind in den Sportzeitschriften weiblichen Wettkämpfen gewidmet. Weltweit. Die anderen neunzig Prozent füllen sich mit den «wahren» Helden des Sports, den richtigen Kerlen in Formel 1, im Radsport und selbstverständlich im Fussball. Im Macht- und Finanzmarkt Sport hat eine Frau mit Sicherheit immer die bessere Chance, nackt statt mit Wettkämpfen in die Zeitschriften zu kommen. Spielerfrauen, Boxenluder oder käufliche Frauen am Rande der Fussballmeisterschaft sind dabei nicht mitgezählt. Sportjournalistinnen weltweit sind rar (16 Prozent) und dann leider so beschränkt wie die Fussball-Kommentatorin des «inneren Reichstags» zu Lahms Spielereinsatz während der Fussball-WM.
Kein anderer Bereich, ausser den Finanzen, ist dermassen durch Flavio Briatores jeder Hautfarbe definiert wie der Sport. Das wäre vielleicht Anlass gewesen, über Frauen, Mut und Sport zu schreiben, statt im Redaktionsbereich die Nike-Strip-Montage zu kopieren.
Wir wissen, wie stark die Sport-Industrie unsere Kulturen und Politiken verändert. Wohl nicht zufällig singt die angeschlagene Aussenministerin Micheline Calmy-Rey im Donnschtig-Jass der vergangener Woche. Wäre sie 35, liesse sie sich vielleicht auch «mutig» fotografieren – wir wissen ja, wie weit Frauen gehen, um gesehen und gehört zu werden. Nur um irgendwann im Leben zu realisieren, dass Brüste eben nicht sprechen, sondern nur gesehen werden können. Doch dann ist es meistens zu spät, um etwas so sagen zu können, dass Frau nicht nur gesehen, sondern auch gehört wird...