von Regula Stämpfli / Mittwoch, 8. September 2010
Tamedia scheffelt Millionen, die klassischen Zeitungen verlieren, Medienspezialist Prof. Dr. Imhof konstatiert: Demokratierisiko. Nicht in dieser Reihenfolge, doch klar ist: Die Revolution der Kommunikation ist erfolgreich dabei, die traditionellen Demokratien zu beseitigen.
Parteien sind mittlerweile beliebig oder werden via Smartvote gewogen, gemessen und für zu leicht befunden. Politische Inhalte werden nicht diskutiert – es sei denn, es gehe um muslimische Gene. Wählende sind sprung- und wechselhaft, die schweizerische Regierung orientierungslos oder bestehend aus sieben Einzelfiguren mit eigenen politischen Prioritäten. Die Bundesverwaltung verfügt über eine Macht, wie das letzte Mal nur noch der Hofstaat unter Louis XIV. Heute sprechen den Satz «l’état c’est moi» Llyod Blankfein von Goldman Sachs, Joe Ackermann von der Deutschen Bank oder Oswald Grübel von der UBS. Wahlkampagnen werden wie im feudalen Frankreich nicht mit Argumenten, sondern mit Events, Kostümen und Personen gewonnen. Wir wissen alle viel, doch nicht wirklich Zusammenhängendes. Und: Der Begriff der Medien«demokratie» gleicht einem Krokodil, das nur Vegiburger fressen will. Ebensogut könnten wir von einer Bankendemokratie reden, haha.
Zum Glück gibt es Prof. Kurt Imhof von der Uni Zürich. Im neusten Bulletin der Schweizerischen Gesellschaft für Zukunftsforschung, für welche an dieser Stelle doch etwas Werbung gemacht werden soll, beschreibt der umtriebige Medienwissenschaftler Auswege aus dem herrschenden medialen Systemrisko der Demokratie.
Drei Vorschläge sind bedenkenswert: Erstens braucht es die Wiederherstellung von Informationsmedien, die nach Relevanz und Informationsgehalt Gesellschaften verbinden statt sie in Teilöffentlichkeiten aufzulösen (ich übersetze...Imhofs Jargon erfordert einige linguistische Fähigkeiten). Zweitens passiert dies nur mit einem anständigen Grundangebot öffentlich-rechtlicher Medien, die diesen Namen auch verdienen. Imhof weist ausdrücklich darauf hin, dass die Vermittlungsformen egal sind, Hauptsache, die Informationen verbinden, sind relevant, informieren die Bürger und Bürgerinnen und sind öffentlich rechtlich zugängig. Drittens braucht es einen stark ausgebauten Konsumentenschutz, der nicht zuletzt die «phantasievoll destruktiven Angebote der Finanzindustrie» verstehen, beurteilen und kritisch begleiten kann.
Nicht die Finanzindustrie sollen die Medieninhalte diktieren (dies ist nun Stämpfli-Ergänzung) und damit zu einer Art Vatikan kapitalistischer Reinheits- und Alleingültigkeitslehre mutieren (wiederum Stämpfli), sondern die Bürger und Bürgerinnen sollen unabhängig Qualitätsbeurteilungen (Imhof) vornehmen können. Medienkompetenz ist dabei ein Kern von Imhofs Lösungsvorschlägen, denn: «Gesellschaften, die ihren Nachwuchs über Softnews sozialisieren, verschieben weit mehr Probleme als nur Schulden auf die kommenden Generationen.» Und zum Schluss führt Imhof den Nationalstaat über diesen hinaus in die Welt. Wie dies passieren soll, lässt Imhof verständlicherweise offen (denn diese Knacknuss hat selbst Zizek noch nicht gelöst...).
Doch klar ist: Die weltweite Medienkonzentration und Medienmechanik des Skandalierens statt Informierens sowie die zuständigen Medien-Verhunzungspolitiker schaden nicht nur jeder Demokratie, sondern haben sie in weiten Teilen der Welt schon längst abgeschafft.