von Regula Stämpfli / Montag, 1. November 2010
Stellen Sie sich vor, die Kantone würden von einem Tag auf den anderen aufgehoben und niemand schreit «aua!». Genau das passiert aber im «Corporate Identity Manual Switzerland». Auf 210 Seiten wird nicht nur der schweizerische Föderalismus zu Grabe getragen, sondern die Vielfarbigkeit, die Unterschiedlichkeit, die Diversität totalitär eingeebnet.
Es gibt keine Kantone, keine vier Sprachen, keine Gemeinden, keine Dialekte, keine farbigen Wappen, keine Eigen- und Besonderheiten mehr, sondern nur noch ein einheitliches Logo für die Gesamtschweiz(in vier Sprachen, von Übersetzung kann aber da keine Rede sein).
Da gibt es so wunderbare neudeutsche Anweisungen wie «In today’s global society countries compete with each other for the world’s attention, for people, for foreign investment and capital. (…) The uniform appearance is the base to increase the impact of our activities by a higher degree of recognition.» Analog von Hitlerjugend, Hakenkreuz, Mutterverdienstkreuz kriegen wir direktdemokratischen Kantonsschweizer (selbst die eidgenössischen Wahlen finden ja in den Kantonen statt) formvollendete, uniforme Identitätsmerkmale, die überall gleich aussehen sollen: «We thank everybody who helps us creating a uniform appearance of Switzlerand worldwide by applying the following guidelines…»
Designer meinten immer «Form follows function», doch seit dem Einebnen des demokratischen föderalistischen Wildwuchs von Ämtern und unterschiedlichen Kantonen ist klar: Function follows form. Das Schweizer Militär wird abgeschafft, dafür eine Corporate-Branding-Uniformpflicht für Alle verordnet. Die Bundeskanzlei verkaufte schon 2007 die millionenschwere Um- und Aufrüstung auf einen uniformen Bundeslook mit www.admin.ch als Sparmassnahme. Dank der Designdiktatur sollten jährlich 7 Millionen gespart werden, ob dem wirklich so ist, hat natürlich niemand untersucht. Das Corporate Design Manual geht ein Jahr später noch weiter. Sicher geschah dies nicht zufällig gleich nach dem Zusammenbruch des nationalen Grossbankensystems.
Pluralismus, kulturelle Buntheit, sprachliche Diversität, postmoderne Vielfalt, die kreativen Unterschiede werden – analog mathematischer Fixierung von Denken – gleichgeschaltet. Wir alle wissen seit Jahren, dass Bilder schon längst sprechen gelernt haben. Und statt mit mehr Demokratie, mit einem Verständnis für das Reale und die Menschen politische Gestaltungen zu werben, die dem multiplen Mit- und Gegeneinander auch Raum geben, sprich: die Realität abbilden, wird uns der technokratisch-administrativ-uniforme Tunnelblick nicht nur an den Unis verordnet, politisch und wirtschaftlich subventioniert, sondern mit diesem Corporate Branding eigentlich in unser Neuronensystem eingebrandet – ähm - eingebrannt. Nur schaut niemand hin.
Dass die SVP logischer (logo-weise) nun einen Wahlkampf führt mit «Schweizer wählen SVP» fügt sich nahtlos in dieses «Schweiz-Design» ein. Die SVP ist auch der beste Brand im Wahlmarkt. Dies nicht zuletzt dank Formen, die dem «Unternehmen Schweiz» nicht engagierte Demokraten, sondern «gute» Angestellte bringen soll. Wie meinte auch der neugewählte Bundesrat Schneider-Ammann? «Ich freue mich, von einem kleinen Unternehmen in das grosse Unternehmen Schweiz wechseln zu können.» Genau. Seine Freude ist durchaus verständlich. Unreflektiert, vermessen, abgebildet verwandelt sich die Schweiz mit viel Geld seit Jahren zum privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen, in welchem die Bürger nur noch die Rolle zugewiesen kriegen, mit ihrem Humankapital bei allfälliger Misswirtschaft mit den eigenen Steuern und der realen Wirtschaftsleistung geradezustehen.
Ich empfehle allen, die zynischen Sätze aus dem zitierten Manual (Lesen!) wie eine Abstimmungs- und Wahlinformation zu studieren. «Kleider machen Leute» hiess es früher. Heute macht Corporate Branding aus jeder Demokratien eine uniforme Gestaltungsdiktatur, die dann «globish» spricht (Danke an Prof. Ruedi Baur für den Hinweis).
Jede öffentliche Institution, von staatlichen Museum zu staatlich finanzierten Kindergarten, von Uni über Fachhochschule bis hin zur Ich-AG gibt sich ein Branding wie früher die Cowboys ihren Kühen. Im Mittelalter gab es Kleidervorschriften für die verschiedenen Stände, heute gibt es Corporate Design. Deshalb sehen unsere Identitätskarten (dies übrigens europaweit) auch nicht zufälligerweise wie Kreditkarten aus. Schon mal darüber nachgedacht, was das alles zeigt, bedeutet und wie diese Form zu uns als Bürger und Bürgerin spricht? Was diese Form über das Demokratieverständnis aussagt? Nööö, sicher nicht. Wir starren im Vorlesungssaal lieber auf die einheitlich gebrandeten Powerpointpräsentationen, die unbedingt das Logo der Uni draufhaben müssen. Offensichtlicher könnte der Beleg für das herrschende, selbstgeschaltete Denken an den Unis nicht sein – warum sieht das niemand?
In der Ausstellung «Hitler und die Deutschen» werden Spielzeuge für den kleinen Nazi der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Selbstgleichschaltung der Bürgerinnen und Bürger in dieser kurzen Vernichtungsherrschaft, deren Erfolg bis heute reicht, ist eindrücklich. Sie ist streckenweise auch lustig. Doch das Lachen bleibt im Hals stecken, wenn wir nur fünf Minuten die damalige Formsprache in die symbolische Herrschaft von heute übersetzen. Doch offensichtlich ist die Sprache, mit welcher totalitäre Herrschaft via Form und Symbol diskutiert werden könnte, mittlerweile nicht zuletzt dank den Corporate Branding Unis ausgestorben.
Schauen wir doch mal genauer auf die Formen, die uns heute entgegenstarren! Was bedeutet es, wenn Demokratie so vermessen wird, dass die Logos der Parteien sich auf Bilanzdiagrammen tummeln? Was bedeutet es, wenn Beziehungen wie Erfolgsrechnungen formuliert werden? Was bedeutet es, wenn sämtliche Ausweise meiner Verbandszugehörigkeiten, meiner Bürgerschaft, meiner Kulturinstitutionen, etc. Kreditkartenformat aufweisen? Was heisst es, wenn Mehrheit plötzlich mit Wahrheit gleichgesetzt wird? Wer gleich gleich aussieht, wer uniform präsentiert, wer nur noch eine Sprache spricht, ist dazu verdonnert, uniform zu handeln, uniform zu denken, uniform zu reden.
Wer etwas über die Wirkung von Branding wissen will, dem sei «Uncorporate Identity», ein Buch von Daniel van der Velding, empfohlen
Wer Uncorporate Identity studieren möchte, Design2context ist eines der wenigen Uniinstitute der Uni Zürich, die nicht nur zählen, sondern auch noch denken können.
Wer etwas über die Selbstverständlichkeit von Kreditkarten als Bürgerverhältnis erfahren möchte, dem sei Ueli Mäders Buch «Wie Reiche denken und lenken» empfohlen.