Regula Stämpfli / Mittwoch, 20. April 2011
Der mediale Neu-Erguss von «Frau jung gegen Alice Schwarzer» erleben wir nun mindestens zum dritten Mal. Vor Jahrzehnten war es Esther Vilars, dann Verona Feldbusch, jetzt Familienministerin Schröder gegen die nimmermüde Alice Schwarzer.
Während in Grossbritannien die Pornografisierung des AlltagsTM, in Frankreich die weitreichenden Folgen von Leihmutterschaft und Frauenhandel ihren Weg sogar ins Modeheft Marie Claire finden, in Finnland die jungen wie alten Väter schon längst ihre Kinder (mit)erziehen, zelebrieren die deutschen wie die schweizerischen Mainstream-Medien Mutterverdienstkreuzideologien.
Allein schon der Titel, den Familienministerin Schröder für ihren Gastbeitrag in der FAZ «Abschied vom Geschlechterkampf» setzt, ist kreuzfalsch. Die Einzige, die da für ein falsches Leben im richtigen kämpft, ist Frau Schröder. Feminismus heisst nicht Geschlechterkampf, sondern die «Menschwerdung der Frau» (Mary Wollstonecraft ? wer? wird Familienministerin Schröder jetzt sicher rufen...). Meine Urgrossmutter hat sich nicht über den Heterosex beklagt oder gar ihre wunderbaren Söhne diskriminiert, sondern sie ist schier über der Unmöglichkeit, für diese auch allein aufzukommen, verzweifelt. Meine Grossmutter kämpfte unermüdlich fürs Frauenstimmrecht, nicht weil sie fand, Frauen seien die besseren Menschen, sondern weil sie der, für Frau Schröder wahrscheinlich seltsam klingenden, Idee der Gerechtigkeit, anhing.
Frau Schröder verkennt, dass es dem Feminismus um die Veränderung der Arbeitsgesellschaft, um die Freiheit der Sexualität, wie um die weitere Demokratisierung und um Partizipationsgerechtigkeit ging und geht. Männerförderung war immer Bestandteil engagierter Frauenpolitik, da ohne das Mitdenken der Männerrolle, Frauen gar nie Staat machen konnten. Frau Schröder unterstellt mit ihren Äusserungen indessen allen Feministinnen pauschal, dass sie nur Geschlechterkampf und Männerdiskriminierung betrieben ? eine klassisch antifeministische Strategie und Zubetonierung mit Klischées, die schon Olympe de Gouges, Mary Wollstonecraft, Louise Büchner, Marie Goegg, Emilie Gourd, Emma Graf etc. in den vorigen Jahrhunderten beklagten.
Frau Schröder spielt zudem auf der medienattraktiven Klaviatur, indem sie ältere engagierten Frauen pauschal als «Altfeministinnen» stigmatisiert. Stellen wir uns nur eine Minute lang vor, Frau Schröder wäre in den USA Ministerin, u.a. verantwortlich für die Durchsetzung der Rassengleichheit. Stellen wir uns weiter vor, Frau Schröder würde für die Washington Post einen Gastbeitrag verfassen, indem sie die ehemaligen Bürgerrechtler pauschal als «Altdemokraten» bezeichnen würde. Der mediale Aufschrei, wie der sofortige Rücktritt einer solch US-amerikanischen Ministerin wäre sicher. Geht es indessen um Gleichberechtigung, ganz banale Gerechtigkeitsüberlegungen im Hinblick auf das Geschlecht, ist in Deutschland und in der Schweiz fast jeder Unsinn erlaubt.
Der Text von Frau Schröder gleicht in vielem der Argumentationslinie eines Thilo Sarrazin. Es wird ein gesellschaftliches Problem erkannt, doch so präsentiert, dass nicht der Kern der politischen Auseinandersetzung, wie Fragen zur bürgerlichen Gleichstellung, zur Teilhabegerechtigkeit, zur Trennung von öffentlich und privat, diskutiert, sondern pauschal biologistische Menschen-Kategorien sowie Klischées als Wahrheit deklariert werden. Nehmen wir als Beispiel Schröders Lead zu ihrem Text:
«
Wer heute etwas über Frauenpolitik wissen will, findet eine breite Auswahl an Lesestoff. Gut so! Doch wer sich für die männliche Seite interessiert, kann lange vergeblich blättern. Vor lauter Frauenpolitik haben wir die Männer vergessen.»
Hallo, wer ist denn dieses imaginäre «wir»? Nur weil Frau Schröder die populäre, zahlreiche und wichtige Literatur zu Männergruppen, frühkindliche Erziehung, Männerbildern, verletzten Väter etc. nicht kennt, heisst dies noch lange nicht, dass es diese nicht gibt. Und: wer hat vor lauter Frauenpolitik die Männer vergessen? Etwa die Chefredaktoren der führenden deutschen Tageszeitungen, die gemäss «who makes the media» Männer zu allem, Frauen ab und an höchstens zu Frauenthemen befragen? Frau Schröder nimmt auf unzulässige Weise ihre Leserinnen und Leser mit dem «wir» in Sippenhaftung und unterstellt ihnen bestimmte Handlungsweisen.
Etwas weiter unten erfindet Frau Schröder dann den «Monopolanspruch der Frauen auf Gleichberechtigung» und unterstellt, dass Gleichstellungspolitik für Jungs und für Männer von Schröders imaginären Feministinnen, «im besten Fall ignoriert und im schlechtesten Fall als Verrat an den Zielen der Frauenbewegung gebrandmarkt wird.»
Welches sind die empirischen Fakten, die solch unqualifizierten Aussagen der Familienministerin Schröder untermauern? Hat sie auch nur ein Zitat einer halbwegs bekannten Feministin, die «Männerförderung als Verrat an den Zielen der Frauenbewegung» bezeichnet? Frau Schröder kramt einen aus dem Zusammenhang gerissenen Satz von Alice Schwarzer aus der Emma von 1986 hervor, um ihre These zu belegen, dass alle Feministinnen altbackene Männerhasserinnen seien. Das ist Sarrazin-Vorgehen, der aus den Worten eines radikalen Imman aus dem letzten Jahrhundert einen grundsätzlichen Hass aller Muslime auf die Deutschen kreiert.
Nur weil Frau Schröder ausser CDU und Politik offenbar nun auch «Mann» buchstabieren gelernt hat, heisst dies nicht, dass auch alle anderen Frauen sich erst jetzt mit Männerförderung auseinandersetzen. Es sind und waren die Gleichstellungspolitikerinnen, welche im Zuge ihres Engagements den Männern unendlich viel Gestaltungs- und Freiheitsraum überhaupt erst ermöglicht haben! Doch Frau Schröder denkt sich wahrscheinlich, weshalb sie anständig recherchieren soll, wenn sie aus der Erinnerung irgendwelche Unwahrheiten publizieren kann.
Frau Schröder repetiert ein besonders in Deutschland und der Schweiz beliebtes Argument, dass es jetzt die Männer wären, die unter die Räder kämen. So blendet die Familienministerin medienattraktiv jeden strukturellen Zusammenhang von Macht und Mensch aus. Sie belegt zudem auch ihre völlige Ignoranz bezüglich der Geschichte der Frauenbewegung. Schröders Text erweist sich bei genauerer Lektüre als eine Ansammlung von Plattitüden, gespickt mit Faktenfehlern. Ginge es nicht um Feminismus, die FAZ hätte einen derart schlecht informierten Gastbeitrag gar nie abzudrucken gewagt.
Lesetipp zur Postdemokratie und deren Auswirkungen auf die sog. Geschlechterfrage: Postdemokratie? Aus Politik und Zeitgeschichte, 3. Januar 2011
Marthe Gosteli (Hg.) Vergessene Geschichte. Illustrierte Chronik der Frauenbewegung 1914-1963, Zwei Bände, Bern 2000.