Regula Stämpfli / Mittwoch, 30. Dezember 2015
Tate Modern beglückt momentan mit einer Ausstellung zu Alexander Calder. Im Museumsshop stiess ich - Bliss has no end - wieder auf die Guerilla Girls, respektive deren Manifest: «Die Vorteile als Frau Künstlerin zu sein.»
Mit: «Müssen Frauen nackt sein, um ins Metropolitan Museum zu kommen?» sagten die Guerilla Girls 1985 eigentlich alles, was zum Kunstbetrieb zu sagen ist. 2015 gilt dieser Spruch mehr noch für die Wissenschaften. Weniger als 5 Prozent aller Publikationen, Preise, Referenzen, Fördergelder, Reflektionen etc. gehen an Menschen mit den M-Hintergründen: Menstruation und Migration. Wenn M, dann nur solche, die weiss, männlich und beschränkt sind. «Survival of the fittest» in Zeiten bolognesischer Grausamkeit machen die Angepassten so sehr Karriere, dass auch eine Universitätsrektorin von Basel ohne Aufschrei Geisteswissenschaften als wichtig bezeichnet, weil sie «dazu dienen sollen, die Gesellschaft auf die Lifesciences» vorzubereiten.
Ha. Genial, nicht wahr? Es ist immer wieder höchst erfrischend zu sehen, wie Frauen, kaum im Amt, alles abschaffen, was es ihnen überhaupt möglich gemacht hat, ins Amt zu kommen. Vielleicht muss Frauenförderung mal ganz anders gedacht werden...
Das Problem der Kennzeichnung von Menschen mit Menstruations- und anderen Abgründen liegt aber nach wie vor in der Biologisierung, der Kategorisierung, der materiellen Reduktion von Leben auf Zusammenhänge, die von Menschen ohne Hintergründe als relevant gekennzeichnet werden. Sprich: Die Diskriminierung wird sowohl durch die Diskriminierten als auch die Diskriminierenden weitergereicht.
Junge Frauen realisieren beispielsweise nie, dass, egal, was sie schreiben, denken, publizieren, gestalten, zeigen etc., sie immer auf ihre Vagina reduziert werden. Wenn sie es dann merken, ist es zu spät. Egal wie radikal ihre Literatur, Kunst, Wissenschaft, Philosophie, Geschichtsentwurf etc. war, sie werden immer unter «Frauen» entsorgt: Zuerst gefördert, dann verleumdet, schliesslich vergessen. Frauen haben es am einfachsten als Frauen Subjekt zu werden, wenn sie als Mann zur Frau werden, siehe die wunderbare Verwandlung von Caytlin Jenner.
Der Widerspruch, gleichzeitig als Frau Sexismus anzuprangern, ohne aufs Frausein reduziert zu werden, war noch nie so schmerzhaft wie in der Gegenwart. Dies nicht zuletzt, weil ausgerechnet Menschen mit Menstruationshintergrund vom lebensgefährlichen Kampf von Frauen profitieren, die als erstes jeden Gleichstellungsfortschritt abschaffen: Das Maggie Thatcher-Syndrom. So sind es - neben all den Männeridioten - vor allem auch die Frauen, die ihre Geschlechtsgenossinnen diskriminieren, Frauen, die anderen Frauen vom Verkauf des weiblichen Körpers vorschwärmen, ihn ethisch und philosophisch begründen und fördern, die eine regelrechte Werbekampagne für die Zerstückelung des weiblichen Körpers fördern und die am lautesten aufschreien, wenn eine andere Frau es wagt, die Perversion solcher Menschen auf den Punkt zu bringen.
Ein anderes, unter den zahlreichen Problemen, besteht darin, dass Texte von Frauen nie im Original zitiert, sondern meist nur in einer völlig beschissenen Version irgendeines Typen mit Prostatahintergrund oder einer Schwachhornbirne mit Gebärmutter, rezipiert werden. Daraus ergibt sich dann eine Rezeption der völlig beschränkten Rezeptionisten... die Googlehits oder Wikipediaeinträge zu Frauennamen sprechen diesbezüglich Bände.
Der Vorteil von Menschen mit Menstruationshintergrund besteht darin, dass sie, einmal über 80 Jahre alt oder nach ihrem Tod, berühmt werden. Dies ist u.a. mit ein Grund, weshalb ich nicht für die Gegenwart, sondern für die Ewigkeit schreibe.
Vorteile, ein denkender Mensch mit Menstruationshintergrund zu sein:
Sie können mit ihrer Frisur, Körbchengrösse oder Beinlänge Schlagzeilen machen
Wikipedia stellt sicher, dass sie Frau bleiben
Der Beruf ihres Vaters, Liebhabers, Sohnes, Ehemannes, Cousins ist immer wichtiger als ihre eigene Tätigkeit
Egal was sie publizieren: Es ist Frauenliteratur
Sie gefährden Ihr unabhängiges Denken nie durch Erfolg
Sie können sich gratulieren, andere Menschen mit Menstruationshintergrund Chancen gegeben zu haben, die diese, kaum im Amt, sofort rückgängig machen
Ihre Ideen leben in anderen sehr erfolgreich weiter und geraten nie in Gefahr, mit Ihnen in Verbindung gebracht zu werden
Sie werden in neumodischen Erscheinungen der Zukunft wiederentdeckt, um völlig falsch rezipiert zu werden
Zahlreiche Freundschaften bleiben aus, so dass ihnen viel Zeit zum schreiben und denken bleibt
Sie sind immer «stark»
Sie gelten immer als «schwierig»
Sie sind immer «ehrgeizig»
Ihre Geschlechtsgenossinnen sind überzeugt, Ihnen ähnlich zu sein
Wollen Sie Ihr Bild in der Zeitung, dann schreiben Sie über Schamhaare, Analsex, Prostitution, Gewichtsprobleme, Liebeskummer oder lästern Sie über eine andere denkende Frau
Sie leiden nicht unter dem Druck, wirklich ernst genommen zu werden
Jeder kleinste Fehler von Ihnen macht Schlagzeilen
Mit männlichem Pseudonym verhundertfacht sich die Chance, gelesen, diskutiert und vielleicht sogar verstanden zu werden
Sie werden Ihre Bescheidenheit nie auf den Prüfstand stellen müssen, weil Sie als Genie bezeichnet werden